FPG164 – Hidden Rules im Management
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Viele neuen Führungskräfte glauben, dass sie sich anhand der formellen Strukturen und dokumentierten Informationen ein Bild über das neue Unternehmen machen können. Aber das stimmt nicht.
Mindestens genau so wichtig ist es, die verstecken Regeln, die undokumentierten Übereinkommen und die an sie gestellten Erwartungen zu kennen. Sie müssen möglichst schnell wissen, welche Hidden Rules gelten in Ihrem neuen Umfeld.
Formelle Strukturen
Das was man vordergründig in Unternehmen sieht, das was man als Außenstehender mit bekommt, das sind meist nur die formellen Strukturen, wie Organigramme und Prozessbeschreibungen.
Wenn Sie als neuer Mitarbeiter in ein Unternehmen kommen, dann erhalten Sie offizielle Informationen zu diesen formellen Strukturen und zum Umgang miteinander.
Dazu gehört die Hochglanzbroschüre mit der Unternehmensvision, die Unternehmenspräsentation und mit der Beschreibung der Werte, für die Ihr Unternehmen steht.
Auch der Vertriebsprozess im Unternehmen ist genau dokumentiert, der Entwicklungsprozess im Intranet beschrieben und es gibt diverse offizielle Regeln vom Innovationsprozess über Entscheidungsvorlagen und Ideenmanagement bis hin zu den Öffnungszeiten der Kantine und natürlich auch der 80 seitige Ordner mit der Reisekostenregelung.
Viel Information, die beschreibt, wie das Unternehmen scheinbar funktioniert, wie der Laden tickt, worauf es ankommt. Ganz so ist es aber nicht. Da fehlt was. Sie sehen bisher nur eine Seite der Medaille.
Informelle Strukturen und Hidden Rules
Tatsächlich funktioniert jede Organisation, jedes Unternehmen nicht nur durch formelle offizielle Strukturen sondern vor allem durch die dahinterliegenden unsichtbaren informellen Strukturen.
Wenn ich die nicht kenne, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich beispielsweise als neue Führungskraft immer wieder in Fettnäpfchen trete.
„Herr Geropp, das macht man bei uns nicht so!“
„Äh, sorry wo steht das denn, dass das anders geht?“
„Das steht nirgends. Das weiß man einfach!“
Ungesagte Regeln, auch „Hidden Rules“ genannt, bestimmen das Miteinander. Diese informellen Strukturen haben viel mit Beziehungen zwischen den Beteiligten und dem daraus folgenden Verhalten untereinander zu tun.
Diese ungesagten Regeln sind aber nirgendwo fest gehalten. Es wird aber erwartet, dass man sie kennt und sich daran hält. Diejenigen, die schon lange dabei sind, wissen das einfach. Für die ist das ganz normal. Diese Regeln haben sich mit der Zeit entwickelt.
Die Investitionsentscheidung als Beispiel
Anhand des Beispiels einer Investitionsentscheidung möchte ich das mal verdeutlichen:
Frau Kruse hat gerade neu angefangen als Entwicklungsleiterin in unserem Beispielsunternehmen. Sie fragt sich gerade, wie denn eine Investitionsentscheidung gefällt wird, denn Sie braucht für Ihre Abteilung dringend eine neue Entwicklungssoftware. Das ist eine größere Investition in 6 stelliger Höhe und Sie geht davon aus, dass die deshalb von oben genehmigt werden muss. Und damit hat sie Recht.
Sie schaut im Unternehmenshandbuch nach, wie es offiziell geht. Das steht da im Detail unter dem Stichwort Entscheidungsprozesse. Alles ist sauber und exakt dokumentiert nach dem erst im letzten Jahr zertifizierten DIN ISO 0815 Qualitätsstandard. Sehr schön.
Frau Kruse liest sich also den Entscheidungsprozess durch. Da steht:
„In unserem Unternehmen treffen wir Investitionsentscheidungen schnell, unbürokratisch und transparent. Hierzu dient die monatliche Sitzung der Geschäftsleitung. Investitionsvorhaben ab 50.000 EUR werden dort vom Antragsteller vorgestellt, diskutiert und dann darüber entschieden.
Damit die Geschäftsführung sich schon vorab damit beschäftigen kann, ist es notwendig, dass der Antragsteller das ISO Formblatt „Executive Summary“ den Geschäftsführungsmitgliedern mindestens 3 Tage vor der Sitzung zukommen lässt. Entscheidungen werden somit in wenigen Tagen gefällt.“
Frau Kruse denkt sich: das ist ja einfach und geht schnell. Das Executive Summary habe ich schon. Dann muss ich ja nur noch eine Präsentation für die Sitzung vorbereiten. Sie glaubt, sie müsse sich nur an diese Regelung halten, um die für sie und ihre Abteilung so dringend benötigte Investition zu erhalten.
Die Hidden Rule
Aber weit gefehlt. Denn in ihrem Unternehmen gibt es versteckte Regeln. Glücklicherweise weist sie ein freundlicher Kollege auf diese „Hidden Rule“ hin:
„Frau Kruse, Vorsicht! Sie wollen doch, dass unsere 5 Geschäftsführungsmitglieder ihre Entscheidung über die Investition wohlwollend in der Sitzung treffen, oder? Dann sollten Sie mit jedem der 5 Geschäftsführungsmitglieder bereits einige Wochen vor der Sitzung ein 4 Augengespräch führen. In diesen Gesprächen stellen Sie dem jeweiligen Geschäftsführungsmitglied Ihren Investitionsantrag im Detail vor und beantworten all seine Fragen.
Erst wenn Sie die gleiche Präsentation jedem der 5 Geschäftsleitungsmitglieder separat vorgestellt haben und all deren offene Fragen im Einzelgespräch beantwortet haben und deren ok für Ihre Investition eingeholt haben, erst dann sollten Sie den Investitionsantrag für die Geschäftsleitungssitzung einreichen.
Dort halten Sie dann übrigens exakt die gleiche Präsentation nochmal, aber diesmal für alle Beteiligten gleichzeitig.“
Frau Kruse ist verunsichert. Steht nicht im offiziellen Prozesshandbuch, dass Entscheidungen schnell, unbürokratisch und transparent getroffen werden? Warum also nicht die Präsentation einmal halten, den Inhalt im Gremium diskutieren, Fragen beantworten und dann entscheiden? Das wäre doch viel schneller.
Logisch wäre das. Ihr freundlicher Kollege gibt ihr Recht. Man kann das auch so machen, aber die Chance dann eine positive Entscheidung von diesem Gremium zu bekommen ist gleich null.
Warum?
Der freundlicher Kollege klärt Frau Kruse auf:
„Es gibt schon seit Jahren leichte Unstimmigkeiten zwischen den 5 Geschäftsleitungsmitgliedern. Deswegen haben sich die 5 dazu entschlossen, Konflikte nicht offen in der Geschäftsleitungssitzung vor anderen Mitgliedern und vor allem nicht vor Mitarbeitern auszutragen.
Solche Konflikte werden vielmehr immer in Einzelgesprächen geklärt oder auch nicht – aber eben nicht vor anderen in der Öffentlichkeit.“
Auch möchte sich keiner der Geschäftleitungsmitglieder eine Blöße vor den anderen geben, also beispielsweise indem er in der Sitzung Fragen stellt, die vielleicht zeigen würden, dass er den vorgestellten Antrag gar nicht verstanden hat.
Deshalb will jedes Geschäftsleitungsmitglied eine eigene Präsentation vorab, um solche Verständnisfragen lieber im 4 -Augengespräch mit dem Antragsteller zu erörtern. In der Sitzung kann man sich dann abgeklärt und würdevoll geben und souverän so tun, als ob man gerade jetzt die Entscheidung fällt. Es menschelt halt überall.
Die Atmosphäre in der Geschäftleitungssitzung ist deshalb immer professionell, freundlich und politisch korrekt. Diese Veranstaltung dient nur noch dem Abnicken von Entscheidungen, die schon vorher gefällt wurden. Kontroverse Diskussionen finden da gar nicht statt.
Wer die Regel nicht kennt, verliert.
Wer das als Antragsteller in diesem Unternehmen nicht weiß und es wagt, einfach so nach den offiziellen Regeln einen Antrag einzubringen, der kann davon ausgehen, dass dieser Antrag mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt wird und im positiven Fall vielleicht noch zur Überarbeitung und Wiedervorlage zurückgereicht wird.
Vielleicht glauben Sie jetzt, dass dieses Beispiel doch sehr übertrieben ist. – Nein! Ich verspreche Ihnen, auf solche oder ähnliche Situationen und Hidden Rules können Sie fast überall treffen, wo Menschen mit einander arbeiten.
Deshalb seien Sie darauf gefasst und versuchen Sie so früh wie möglich versteckte Regeln zu erfragen oder zu erahnen.
Hidden Rules gibt es übrigens auch in scheinbar banalen Situationen.
Wer sitzt wo im Meeting?
Auch hier ein Beispiel: Sie sind neuer Mitarbeiter und Ihre erste Teambesprechung gemeinsam mit Teammitgliedern und dem Chef steht an. Sie sind als Erster im Meeting-Raum. Sie setzen sich einfach auf einen Stuhl und warten auf die anderen.
Jetzt kann es sein, dass Sie sich auf den Stuhl gesetzt haben, auf dem normalerweise der Chef sitzt. Das wussten Sie nicht, weil der Tisch ist kreisrund. Keiner der Stühle ist hervorgehoben. Sie wissen es einfach nicht besser.
Die Mitarbeiter und auch der Chef kommen jetzt rein. Niemand weist sie darauf hin, aber seien Sie sicher, dass es bemerkt wird. Sie haben – ohne es zu wollen – eine Erwartung nicht erfüllt, nämlich die unausgesprochene Erwartung, sich nicht auf den Stuhl des Chefs zu setzen.
Sie haben einen Fauxpas begangen. In diesem Fall ist es wahrscheinlich eine Kleinigkeit und ich denke, die meisten Chefs werden es mit Humor nehmen und als belanglos abtun. Aber sie werden es bemerken.
Verstehen Sie mich bitte richtig: Mir geht es nicht darum, dass Sie alle Erwartungen und Regeln immer einhalten müssen. Aber Sie sollten sich bemühen, die Regeln zu kennen, damit Sie entscheiden können, ob und wann Sie eine solche Regel bewusst brechen.
7 Tipps, um Hidden Rules zu erkennen
Wie und woran erkennen Sie „Hidden Rules“?
1. Fragen Sie!
Wenn Sie neu in einem Unternehmen sind und die Regeln noch nicht kennen, fragen Sie danach. Fragen Sie Ihre Kollegen und fragen Sie vor allem Ihren Chef nach seinen Erwartungen an Sie und nach möglichen Fallstricken.
2. Hören Sie genau zu!
Was wird wann und wie beispielsweise in Meetings gesagt und über was wird nicht gesprochen.
3. Beobachten Sie, was gesagt und getan wird!
In wie weit wird Gesagtes und Versprochenes auch wirklich umgesetzt. Wer ist konsequent in seinem Tun, wer nicht. Überlegen Sie, warum das so sein könnte.
4. Beobachten Sie, wer was tut und wer nicht!
Wer ist still, hört nur zu und bleibt im Hintergrund. Wer ist eher aggressiv? Wer sitzt wie da? Wie verhalten sich die Menschen untereinander? Wie reagieren sie aufeinander?
Versuchen Sie zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn Sie das trainieren, erkennen Sie mit der Zeit, wenn etwas nicht stimmig ist. Sie bekommen so sicher nicht alles mit, aber Sie bekommen ein Gespür dafür, ob etwas nicht stimmt.
5. Verstehen Sie die Ziele und die Erwartungen der Beteiligten!
Durch das Zuhören, beobachten und Fragen stellen erhalten Sie einen Einblick in die Ziele, Zielvereinbarungen und Erwartungen der Beteiligten. Verhalten die sich stimmig mit diesen Zielen und Erwartungen? Passt das? Wenn nicht könnte es daran liegen, dass Ihnen hier noch wichtige Infos fehlen hinsichtlich der Person oder der versteckten Regeln.
6. Machen Sie sich klar, wer welche Rolle spielt!
Welche Rolle ist Ihnen zugewiesen? Welche Rolle spielen Sie? Was ist Ihnen in dieser Rolle erlaubt und was nicht? Sie können aus Ihrer Rolle aussteigen und gegen bestimmte Regeln verstoßen, aber Sie müssen das bewusst machen.
Sie müssen das Spiel kennen und wissen, welche Auswirkungen das haben kann. Dazu müssen Sie aber die Spielregeln wirklich kennen und sich über Ihre Ihnen zugewiesene Rolle im Klaren sein.
7. Fragen Sie sich immer nach dem Warum!
Wenn etwas kompliziert erscheint und es in Ihren Augen scheinbar eine ganz einfache Lösung gibt, an die sich aber niemand hält, dann hat das fast immer einen guten Grund – und der hängt häufig mit einer Hidden Rule zusammen.
Bevor sie diese Regel brechen, versuchen Sie zu verstehen, warum es diese Regel gibt.
Das inspirierende Zitat
„Fortschritt ist nur möglich, wenn man intelligent gegen die Regeln verstößt.“
Boleslaw Barlog
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