fpg213 – Was wir als Führungskraft von Nelson Mandela lernen können! Interview mit Stephan Kaußen
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Heute wäre Nelson Mandela 100 Jahre alt geworden. Was können wir als Führungskraft vom Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela lernen?
Darüber spreche ich heute mit dem Journalisten, Politikwissenschaftler und Südafrikaexperten Stephan Kaussen.
Biographien von Persönlichkeiten
Wer sich für Führung, Führungsstile und Leadership interessiert, sollte sich mit Biographien von interessanten Persönlichkeiten beschäftigen. Da kann man viel lernen.
Viele lesen deshalb Bücher über erfolgreiche Unternehmer wie Steve Jobs, Bill Gates oder Richard Branson.
Obwohl auch ich das Leben und die Vision dieser Unternehmer spannend finde, faszinieren mich noch mehr die Persönlichkeiten, die sich für eine für die Gesellschaft bedeutende Sache in Ihrem Leben verschrieben haben: beispielsweise Mahatma Gandhi, der gewaltlos für die Befreiung Indiens gekämpft hat, oder Martin Luther King, der sich – ebenfalls gewaltlos – gegen die Rassentrennung in den USA eingesetzt hat.
Nelson Mandela
Besonders beeindruckt hat mich aber schon immer Nelson Mandela. Er war in den 90er Jahren maßgeblich für den versöhnlichen Übergang Südafrikas von der Apartheid zu einem gleichheitsorientierten, demokratischen Staatswesen verantwortlich – und das nachdem er 27 Jahre im Gefängnis saß. Das fasziniert mich.
Nelson Mandela ist einer der Friedensnobelpreisträger, der aus meiner Sicht diesen Preis auch wirklich verdient hat. Bereits zu Lebzeiten wurde er für viele Menschen weltweit zum politischen und moralischen Vorbild – und das kann ich gut nachvollziehen.
Heute, am 18. Juli 2018 wäre er 100 Jahre alt geworden. Das ist für mich heute der Anlass mich mit Stephan Kaussen über Nelson Mandela zu unterhalten.
Stephan Kaußen
Stephan Kaussen ist für viele als Journalist bekannt aus Funk und Fernsehen. 7 Jahre arbeitete er auch als Professor für Sport- und Politik-Journalismus an der Hochschule in Köln.
Aber vor allem ist er ein ausgewiesener Experte für Südafrika und auch er ist wie ich von Nelson Mandela fasziniert. Er beschreibt ihn als einen – im positiven Sinne – Überzeugungstäter.
Stephan hat mehrere Bücher speziell über Nelson Mandela und über die Transformation Südafrikas von einem Apardheitsstaat zu einer gleichheitsorientierten Demokratie geschrieben.
Stephan hat über den Versöhnungsprozess Südafrikas unter Nelson Mandela promoviert. Er war Mitinitiator der „Partnerschaft mit Kick 2006-2010“, die eine breite Expertise deutscher Fachleute für die Fußball-WM in Südafrika nutzbar machte.
Er führte diverse Interviews mit südafrikanischen Persönlichkeiten, unter anderem auch dem südafrikanischen Erzbischof und Menschenrechtler Desmond Tutu.
Mit Stephan habe ich mich in dieser Podcastfolge unter anderem darüber unterhalten, was Führungskräfte von Nelson Mandela lernen können.
Das Buch: Nelson Mandela
Anlässlich des 100.Geburtstags von Nelson Mandela hat Stephan gemeinsam mit Christian Nürnberger ein neues Buch herausgebracht. Der Titel – wie sollte er anders sein – „Nelson Mandela“.
Die beiden zeichnen in diesem Buch ein eindrucksvolles Bild von Mandelas Leben, seinem politischen Erbe und der aktuellen Situation Südafrikas.
Das Buch fand bereits Aufnahme in die Spiegel-Bestsellerliste. Meine Empfehlung: unbedingt lesen! Ich habe es in den Shownotes verlinkt.
„Rainbow Mandela“
Auf eine besonders außergewöhnliche Sache möchte ich hier noch hinweisen.
Der Künstler Ralf Metzenmacher hat Stephan’s Ausführungen zu Nelson Mandela künstlerisch umgesetzt: „Rainbow Mandela“.
Ralf Metzenmacher propagiert den Kunststil „Retro-Art“. Mit diesen Portrait Bildern von Nelson Mandela hat er auf eindrucksvolle Weise herausgearbeitet, was für ein Charakter Nelson Mandela war.
Hier finden Sie mehr Informationen zu Ralf Metzenmachers Retro Art.
Matinee im Forum für Kunst und Kultur
Zur Erinnerung an den 100. Geburtstag von Nelson Mandela gibt es am Sonntag, den 22.07.2018 eine Matinee im Forum für Kunst und Kultur, in der Bahnhofstrasse 15 in 52134 Herzogenrath. Das ist in der Nähe von Aachen.
Dort werden Ralf Metzenmachers Arbeiten zu Nelson Mandela ausgestellt. Stephan Kaussen wie auch Ralf Metzenmacher werden anwesend sein und freuen sich auf einen spannenden Austausch. Das lass ich mir natürlich auch nicht entgehen.
Also, wenn Sie Lust und Zeit haben, treffen wir uns dort am Sonntag, den 22.07. zur Matinee um 12 Uhr.
Weiterführende Links
- Stephan Kaußens Buch über Nelson Mandela
- Autobiographie von Nelson Mandela: „Der lange Weg zur Freiheit!“
- Facebook Seite von Ralf Metzenmacher
Das transkribierte Interview mit Stephan Kaußen
Geropp
Stephan, mich fasziniert die Person Nelson Mandela. Ich fand es faszinierend, dass jemand nach 27 Jahren als politischer Gefangener frei kommt und eine ganz andere Person ist, als die, die ich mir erwarten würde. Ich würde 27 Jahre im Gefängnis und ich war nicht schuldig, ich wäre total verbittert. Und der Mann fokussiert nach den 27 Jahren auf Versöhnung.
Er ist ja derjenige, der maßgeblich den versöhnlichen Übergang von Südafrika von einem, ja, diktatorischen Staat, einem Apartheitsstaat zu einem gleichheitsorientierten, demokratischen Staat macht.
Was ist aus deiner Sicht, was ist deine Meinung, woran liegt es, dass Nelson Mandela durch seine 27 Jahre Haft nicht gebrochen wurde und auch nicht verbittert rausgegangen ist?
Kaußen
Also ich glaube, das Wichtigste an Nelson Mandela ist seine humanistische Grundeinstellung. Also er war von Anfang an in seinem Leben, sagen wir mal, spätestens seit Studienzeiten, als er das dörfliche, das ländliche im Ost-Kap in Afrika verlassen hatte Richtung Johannesburg, seitdem war er ein Humanist. Und er hat selber immer betont, wie wichtig ihm gute Bildung und das Interesse fürs Allgemeinwohl gewesen wäre.
Jetzt hat er aber natürlich auf der Strecke von dort als junger Mensch zu dem Status und dem Wirken, dass du eben beschrieben hast, auch Täler durchlitten, durchlaufen und auch Phasen gehabt, wo er ein Aufrührer war, ein Krawallo und kein Versöhner, kein Brückenbauer, sondern ja sogar ein Terrorist nach Definition des Staates.
Geropp
Ja. Aber war das nicht bevor er im Gefängnis war?
Kaußen
Genau. Er landete aufgrund dieser terroristischen Aktivitäten, Revolution gegen den Apartheit Staat im Knast, 27 Jahre inhaftiert, 18 Jahre auf Robin Island vor Kapstadt. Sieht die Freiheit, sieht den Tafelberg jeden Tag, aber er kann nicht raus, er kann nicht dahin.
Und als er rauskam hat er die für mich größte Lebensleistung hinbekommen, versöhnen statt vergelten. Frieden schaffen ohne Waffen. Hand reichen, nicht wegschlagen. Inklusion statt Ausschließen. Brücken bauen statt einreißen.
Wie ist es ihm gelungen? Auf dieser Insel Robin Island haben die Gefangenen von der University of Robin Island gesprochen. Sie haben sich gegenseitig, ob beim Steine klopfen oder stupiden Arbeiten aller Art, das beigebracht, was sie an Skills, an Background hatten.
Bei Mandela Juristerei und politische Ansätze, bei anderen vielleicht philosophische, was auch immer. Und er hat im Gefängnis immer schon den Mitgefangenen gesagt,
„Wir dürfen uns nicht auf das Niveau unserer weißen Unterdrücker begeben, sondern wir müssen respektvoll mit jedem umgehen und ihn als Mensch betrachten. Und das ist die Chance, die wir im neuen Südafrika für alle Menschen schaffen können, egal welcher Herkunft.“
Und dass er das dann wirklich so umgesetzt hat, Chapeau. Also das ist das Wunder des Nelson Mandela.
Geropp
Also das finde ich wirklich faszinierend, dass er da diese über 27 Jahre, diese Größe hatte zu sagen, ich bleibe dabei. Und wie du schon sagst, ich sehe die Freiheit, ich habe sie nicht und ich verbittere nicht gegenüber den Leuten, die mir das antun.
Kaußen
Ja.
Geropp
Viele Menschen in hohen Positionen, ob das Politiker oder Unternehmenslenker sind, die kommen häufig durch das Wohlwollen anderer an die Spitze. In Netzwerken, also im Positiven wirklich auch gemeint. Aber viele haben dadurch später Verpflichtungen.
Das heißt, um diese Netzwerke zu bedienen, muss man dann unter Umständen Kompromisse schließen, die den Werten oder Zielen zum Teil dann auch, ja, widersprochen haben.
Wie war das bei Nelson Mandela? Inwieweit musste der Kompromisse eingehen, um sein Ziel nachher zu erreichen? Und wie ist er damit umgegangen?
Kaußen
Also zuerst einmal ist wichtig, er ist nicht aufgrund von Vitamin B in irgendwelche Positionen gekommen, sondern er hat in jungen Jahren sich als Anwalt auf die Seite der Benachteiligten gestellt.
Und lernte dann aber auch die richtigen Leute kennen, die ihn gefördert haben. So wurde er eine große Nummer im African National Congress, ANC, der heutigen Regierungspartei in Südafrika. Dass er zum Präsidenten wurde letztendlich, lag nur an seiner Lebensleistung und nicht an der Tatsache von jemandem protegiert worden zu sein. Man könnte auch sagen,
„He doesn’t have to give credit to anybody.“
Er konnte aus sich selbst heraus wirken und seine Funktion im Sinne von True Leadership, er ist die Eins. Er steht an der Spitze der Pyramide. Wurde nie in Frage gestellt aufgrund seiner menschlichen Qualitäten. Ich nenne das auch sanfte Dominanz, die er ausstrahlte. Darüber können wir vielleicht nachher im Detail noch ein bisschen reden.
Geropp
Ja. Sehr gerne.
Kaußen
Er schaffte es, die anderen auf dem Wege mitzunehmen, sie von guten Argumenten zu überzeugen, aber was ich noch wichtiger finde, er hörte allen anderen Argumenten auch zu.
Das ist so etwas, wie bei der Diskurs-Ethik von Jürgen Habermas, obwohl ich bezweifeln würde, dass Mandela Habermas kennt. Sie sind in etwa gleich alt, philosophisch ähnlich getacktet vom Mindset.
Und um es kurz zu machen, Diskurs-Ethik à la Habermas bedeutet, man tauscht die Argumente aus in einem Raum und wenn am Ende keiner mehr ein besseres Argument vorbringen kann, dann gebietet es die Ethik diesen Kompromiss dann auch nach außen hin zu vertreten.
Und das gelang Mandela. Und er hatte die Freiheit damit auf den Markt zu gehen, dieses Produkt des gemeinsamen Erdenkens, Analysierens, Herausfilterns bis zur besten Lösung des besten Argumentes, dann auch so zu verkaufen.
Und er musste eben nicht, das war der Kern deiner Frage, auf Seilschaften Rücksicht nehmen, auf divergierende, persönliche Interessen von Leuten, denen er etwas zu verdanken gehabt hätte und vielleicht Ironie des Schicksals, kam ihm gerade zu Gute, dass er so lange in Einzelhaft im Gefängnis war und in diese Netzwerke, die es auch gab in Südafrika, nämlich unter den Gewerkschaftlern, unter den Exilanten, des ANC zum Teil.
Du warst ja selber in Botswana und im südlichen Afrika unterwegs. Der ANC war exiliert, eingesperrt auf Robin Island oder noch so gerade geduldet in den Gewerkschaftsbewegungen. Und da gab es natürlich Seilschaften und Netzwerke. Von denen war Mandela qua Haft abgekoppelt und trotzdem hat keiner infrage gestellt, wenn der rauskommt, ist er die Eins, ist er der Chef.
Dann hat er es aber geschafft und das finde ich sensationell nicht zu sagen, hoppla jetzt komme ich, ich bin der Meister aller Klassen. Alles hört auf mein Kommando, sondern in der beschriebenen Form auf die Denkwelten der anderen Rücksicht zu nehmen, dann aber auch die Richtung vorzugeben.
Geropp
Du hast von sanfter Dominanz gesprochen. Das geht ja in die Richtung. Beschreib mir das mal ein bisschen näher, weil ich glaube, dass es auch für Führungskräfte eine ganz faszinierende Sache, was bedeutet das?
Kaußen
Also ich glaube, ganz wichtig ist, dass man in sich ruht, dass man sich traut man selbst zu sein, aber eben nicht in einer ausgrenzenden Form, sondern in einer Art der positiven Ausstrahlung.
Mandela ist ein sehr herzlicher Mensch gewesen, ein umarmender Mensch und obwohl quasi Spot-On der größte Scheinwerfer mit dem Lichtkegel natürlich immer bei ihm lag, hat er es geschafft, den anderen Menschen, ob im Parlament, am Sitz des Präsidenten, egal wo, ob in einem Township, bei einer Rede im Fußballstadion, den anderen auch das wohlige Gefühl zu geben, Teil des Projektes, Teil des Ganzen zu sein.
Und eben nicht nur kleine Handlanger, sondern die elementar wichtig sind zum Gelingen des Projektes. Und dann muss man es, wenn man so wirken will, wie Mandela, auch schaffen, jedem eine Heimat im gefundenen Kompromiss zu geben. Da darf sich niemand überrumpelt, überrollt oder gar ausgeschlossen fühlen, sondern am Ende geht es um Teamwork.
Natürlich, wie bei einer Band, die auf die Bühne geht, kann nur einer der Frontmann sein. Nehmen wir mal als Beispiel, Bruce Springsteen and the Eaststreet Band. Ohne seine Eaststreet Band wäre Bruce Springsteen nie so erfolgreich geworden, wie er es wurde. Und die Band aber auch nicht.
Wenn der Springsteen nicht vorne im Lichtkegel steht und die Rockröhre anschmeißt und diese positive Energie wirken lässt, kann die Eaststreet-Band nach Hause gehen. Und ein Springsteen kann aber nicht ohne Eaststreet-Band auf die Bühne gehen. Anderes Beispiel wäre Udo Lindenberg und sein Panik-Orchester. Ohne das Panik-Orchester kein mega erfolgreicher Udo Lindenberg. Und man könnte, obwohl dieser Vergleich natürlich jetzt hinkt, den Mandela als den Frontmann einer Band betrachten.
Geropp
Wer waren denn die aus seiner Band dann? Welche Leute waren das, die du so sehen würdest?
Kaußen
Interessanter Weise ist der aktuelle Präsident Südafrikas Cyril Ramapohsa einer seiner wichtigsten Mitstreiter. Vielleicht der Lied-Gitarrist oder der Baseman, der das Tempo vorgibt oder der Mann am Keyboard, der auch schon mal ein paar Details und Feinheiten einstreut. Cyril Ramapohsa war derjenige, er ist seit diesem Frühjahr neuer Präsident Südafrikas, der die Detailverhandlungen zwischen Schwarz und Weiß mit einem weißen Counterpart geführt hat.
Rolf Meier hieß dieser weiße Counterpart. Mandela stand an der Spitze der Idee mit dem weißen Counterpart seinen präsidialen Vorgängen F.W. de Klerk, Frederik Willem de Klerk, die beiden haben quasi die großen Linien vorgegeben und die kleinteiligen Kompromisse haben die anderen ausgearbeitet.
Ein zweiter aus seiner Band wäre Thabo Mbeki, der direkter präsidialer Nachfolger von Mandela wurde. Der war der wichtigste Mann im Exil ANC. Der saß damals in Sambia, in Lusaka. Dort hatte der ANC, der ja in Südafrika verboten war, das Headquarter.
Und so ging eigentlich an diesem Thabo Mbeki kein Weg vorbei und Mbekis Vater war ein alter Buddy von Mandela. Und so gab es da auch emotionale Verbindungen. Und daraus ist etwas gewachsen, was man durchaus mit einer Band vergleichen kann. Glasklar von 1990 bis 1999. Immerhin ein knappes Jahrzehnt stand Mandela vorne an der Rampe.
Geropp
Aber wie ist er denn dann mit umgegangen, um diese sanfte Dominanz so ein bisschen stärker noch rauszuarbeiten? Wie ist er damit umgegangen, wenn jetzt, ja, seine Leute, mit denen er in der Band zusammengearbeitet hat, ein bisschen anderer Meinung waren und sagten, ich glaube, das ist falsch, wir müssen in diese Richtung. Und er sagt, nein, nein. Das ist die Richtung.
Kaußen
Diese Situationen gab es tatsächlich. Es gab viele im ANC Anfang der 90er Jahre, die einen viel radikaleren Oppositionskurs gewählt hätten als Mandela. Die viel mehr auf eine Komplett-Revolution gesetzt hätten, als auf diese Interaktion zwischen Schwarz und Weiß.
Und Mandela hat es immer wieder geschafft, wenn diese Buschbrände aufloderten, wenn quasi die Lunte am Pulverfass immer stärker zu glimmen begann und die Detonation unmittelbar bevorstand, dann hat er es geschafft, die Mehrheit im Raum oder auch in ganz Südafrika vor den Gefahren dieser Entwicklungen und Meinungen zu warnen und er das friedvolle Versöhnende zu betonen.
Das hat er kraft seiner Argumentation geschafft, aber vor allen Dingen auch kraft seiner Aura. Und dann war er ein Kommunikationsprofi. Das darf man an der Stelle nicht vergessen. Er setzte sich dann ins Fernsehen und hielt eine präsidiale Rede, obwohl der noch gar nicht gewählter Präsident war. Aber jeder merkte, auch übrigens der Vorgänger, der weiße Präsident, der ja erst 94 abtrat, de Klerk.
„Better listen to this guy.“
Der hat die Kapazität. Der hat die Ausstrahlung, um die genannten Buschbrände wieder auszutreten.
Geropp
Bleiben wir mal ganz kurz bei der Ausstrahlung. Du hast vorhin, anfänglich gesagt, er hat sich schon von Anfang an sehr stark damit beschäftigt sich weiter zu bilden, viel zu lernen, sagen wir mal, nicht das Ego so nach vorne zu stellen, sondern hat sich um die Gemeinschaft gekümmert. Ist das die Voraussetzung, um eine solche Ausstrahlung zu bekommen?
Kaußen
Ich glaube ja. Nehmen wir mal ein konträres Beispiel der Ist-Zeit. Ein Donald Trump.
Geropp
Das ist jetzt natürlich ziemlich heftiger Unterschied. (lacht)
Kaußen
Viel konträrer geht es nicht. Ich gebe das zu. Oder auch ein Erdogan in der Türkei oder auch ein Putin in Russland, die definieren Leadership komplett anders. Die hauen nämlich immer mit der Faust auf den Tisch und kommen mit meinem eben gesagten Satz, hoppla, jetzt komme ich, um die Ecke.
Ähnlich war, glaube ich, sogar ein Gerhard Schröder in Deutschland. Der Kanzler des Basta und das waren mehr knallende Türen, die dort zuschlugen und das war im Endeffekt, nennen wir es mal, Leadership bei Fors und not bei Argumentation.
Geropp
Gut, wobei die Frage jetzt ist, also Trump ist natürlich heftig, aber Schröder, ohne jetzt zu sehr politisch da zu werden, was willst du auch machen, wenn du nicht diese Position, nicht diese durch sowas, durch eine solche Vergangenheit gegangen bist, dann musst du anders agieren.
Dann hast du bestimmte Tools gar nicht zur Möglichkeit. Wenn du natürlich eine solche Ausstrahlung dir über Jahrzehnte erarbeiteten konntest, also unbewusst, ich will nicht sagen, ist es einfacher, aber dieses Tool haben bestimmte Leute dann gar nicht oder?
Kaußen
Also einfacher ist es gerade nicht, denn du fragtest ja eben indirekt nach dem Bildungsweg von Nelson Mandela, was ja komplett autodidaktisch gedacht ist.
Der hat sich immer neue Horizonte selber erschlossen und hat sich dann weiter entwickelt. Nehmen wir mal Herrmann Hesse. Das Gedicht „Stufen.“ Ist für mich eines der Wichtigsten überhaupt. Sollte man sehr ernst nehmen.
Hermann Hesse sagt,
„Du sollst heiter Raum um Raum durchschreiten.“
bedeutet ich öffne mir immer wieder selbst neue Türen in neue Räume, die mir bis dahin gänzlich unbekannt sind. Mache dann das Beste aus der Situation, lerne hinzu, wachse als Mensch und kann dann den nächsten großen Raum oder Saal durchschreiten.
Und Mandela hat quasi, im Gegensatz zu den genannten, eine Idee umgesetzt, die mich immer fasziniert hat und deshalb ist er auch so mein großes gelebtes Vorbild neben vielen anderen Gründen, ein lebenslanges Lernen, eine Bereitschaft immer dazu zu lernen und wenn wir das auf Unternehmertum übersetzen wollen, bin ich davon überzeugt, dass durch ein humanistisches Wachstum der Führungskräfte das ökonomische Wachstum wie ein Beiprodukt von selber entsteht.
Die berühmte Frage, um die du ja auch kreist, warum mache ich das? Und erst dann, wie mache ich es? Und was mache ich damit, was ich auf dem Wege gelernt habe? Und soweit ein Mandela als weltweite Ikone von unseren alltäglichen unternehmerischen Herausforderungen entfernt scheint, ich glaube dieses Prinzip kann man übersetzen, wenn man willens und in der Lage ist, sich tiefgründig weiterzubilden, dann kann man das schaffen. Und vielleicht darf ich noch ein Gegensatz-Paar oder zwei sagen.
Es erfordert Mut diesen Weg zu gehen. Gleichzeitig Demut, sich eben nicht für den Meister aller Klassen zu halten. Und es erfordert, wenn wir heute in der digitalisierten Welt leben, sich über einen Gegensatz klar zu sein, Tempo und Tiefgang. Heute muss alles schnell gehen im Tempo der digitalisierten Welt. Ohne den nötigen Tiefgang kann diese Substanz, über die wir jetzt gesprochen haben, nicht entstehen.
Geropp
Ja, das ist ein sehr guter, sehr guter Punkt. Im Endeffekt fällt mir gerade jetzt ein, es ist da ganz entscheidend, dass jeder, ob das ein Unternehmer, Führungskraft ist und das war sicherlich auch so bei Nelson Mandela, sich die Zeit zu nehmen und über die Sachen wirklich nachzudenken und erst dann Entscheidungen zu haben.
Dazu muss ich aber mir diese Zeit nehmen mich rauszunehmen aus dem Operativen, um wirklich das Große und Ganze und wirklich tief nachdenken zu können über Strategie, Unternehmensstrategie oder sowas, ja? Und das andere, was du eben sagtest, das ist, glaube ich, das ist das warum. Warum tut er das? Und wenn er von Anfang an schon früher gesagt hat, mir ist es wichtig die Gesellschaft, ich will, dass die Gesellschaft sich ins Positive ändert, das ist mein starkes Warum. Ich habe da eine Vision in dieser Richtung, dann passiert alles draus.
Wenn ich aber als, ja, Führungskraft oder sonst was ein anderes Warum habe, das Warum ist wichtig, dass ich toll anerkannt werde, dass ich ja „make irgendein Land great again“ oder „make me great again“, dann ist das, läuft das in eine ganz andere Richtung raus. Ja? Und dann hole ich die Leute auch nicht in der Art ab, das funktioniert dann gar nicht.
Kaußen
Und das sind tatsächlich ganz gefährliche Entwicklungen, die wir gerade, wenn wir mal das Politische kurz ansprechen dürfen, die wir gerade durchlaufen. Wir haben zu viele von den „make my country“ oder „make me great again“.
Ich komme noch mal auf meine „Freunde“, in Anführungsstrichen, von eben zurück. Ein Trump definiert „make us“, „make America great again“, individualistisch, nationalistisch und nicht altruistisch.
Das ist auch wieder ein wichtiger Gegensatz, den wir da haben. Altruismus, am Gemeinwohl interessiert oder Egoismus, individualistisches Denken.
Bei Putin haben wir so einen Phantomschmerz der verlorenen Sowjetunion, der imperialen Macht. Da gibt es, ich kann es jetzt nicht auf Russisch sagen, auch ein „make rusher great again“.
Bei Erdogan haben wir dasselbe Phänomen. Das Osmanische Reicht ist impludiert nach Jahrhunderten und die Türkei ist im Vergleich zur Weltmacht Osmanisches Reich heute ein ganz kleiner, noch nicht mal global Player, sondern local, provincial Player. „Make Turkey great again“. Und „mache mich als Präsident great again“.
Selbst ein Orban in Ungarn handelt so. Die Katschinskis in Polen handeln so.
Und ich würde unserer Politik so sehr wünschen, sich die andere Philosophie von Mandela zum Vorbild zu nehmen. Dafür müsste man aber bereit sein, mal ein paar Stunden wenigstens zu lesen, sich mit einer solchen Biografie zu beschäftigen, um quasi zum Kern dieser Wahrheit überhaupt vordringen zu können.
„Tiefgang statt Tempo und Oberflächlichkeit.“
Geropp
Lass uns noch mal ein bisschen auf Nelson Mandela kommen, wie er sein Team zusammengestellt hat, weil das ja auch für Führungskräfte wichtig ist.
Jetzt kommt er aus dem Gefängnis raus, hat die Vision, sieht auch ich habe die Ausstrahlung, ich kann etwas bewegen. Ich habe eine Chance meine Vision umzusetzen. Wie wählt er die richtigen Leute aus, die ihn dabei unterstützen?
Kaußen
Da kommst du an einen, aus meiner Sicht, wunden Punkt der Biografie von Nelson Mandela. Wir wollen ihn jetzt ja auch nicht heilig sprechen, denn jeder Mensch aus Fleisch und Blut hat Fehler und macht auch Fehler. Der Begriff ist gerade ganz spannend. Macht Fehler auch aus seiner Machtposition heraus.
Denn Mandela hat unterschätzt, wie unqualifiziert im Vergleich zu ihm seine Nachfolger waren. Und der eben schon mal angesprochene Tabu Mbeki, der war erst so etwas, wie ein Ministerpräsident. Er war Vizepräsident unter Mandela über fünf Jahre und dann hat Mandela ihm die Präsidentschaft quasi übertragen.
Und ab dann, ich sage das jetzt mal hart, ging es mit Südafrika peu à peu bergab. Und der Nachfolger von diesem Tabu Mbeki, der zuletzt zum Glück geschasste Jacob Suma, der war auch ein Jahrzehnt knapp dann Präsident, der war Worst Case.
Der hat Südafrika afrikanisiert im Sinne von „Big Man Thinking“. Der Präsident ist der Fixstern und er darf sich alles rausnehmen. Afrikanisierung bedeutet auch, ich nutze meine Macht zur Selbstbereicherung und er hat Südafrika amerikanisiert.
Mit Amerikanisierung meine ich Populismus, ganz schlechte mediale Qualität, Entertainment, Oberflächlichkeit statt Tiefgang. Also Mandela hat sich total verschätzt.
Geropp
War Suma auch in seinem Team?
Kaußen
Er war quasi schon am Horizont potenzieller Nachfolger.
Geropp
Okay.
Kaußen
Er war nicht in seinem aktiven Team so wirklich drin im Inner Circle, aber dass Jacob Suma eine Rolle spielen würde, war absehbar.
Geropp
Okay.
Kaußen
Und er hat interessanter Weise, da schließt sich der Kreis, zum aktuellen Präsidenten, diesen Cyril Ramapohsa, den heutigen Präsidenten, eben nicht so stark gemacht, wie alle es erwartet hätten nach dieser brillanten verhandelten Revolution.
Er hat also quasi seinen Verhandlungsführer nicht in die entsprechende Führungsposition direkt an der Seite des Chefs gestellt, sondern ihn, wie man sagt, so ein bisschen „gesidelined“ und hat sich für die falschen Nachfolger entschieden.
Geropp
Warum? Woran liegt das, deiner Meinung nach? Also im Sinne auch, was kann man davon lernen? Wo müsste man vorsichtig sein?
Kaußen
Jetzt kommen wir auf einen Punkt zurück, den du am Anfang kritisch angesprochen hast und den ich offensichtlich vorschnell verneint habe. Dieses Netzwerken, ich nannte es Vitamin B in Afrika.
Und Südafrika ist auch ein spannender Mikrokosmos mit einem 10prozentigen Anteil der weißen Bevölkerung, aber ich rede jetzt mal über die schwarzen Ethnien und das Stammesdenken. Mandela hat, wenn du mich nach einem Grund für den Fehler fragst, diesen Mbeki zu seinem Nachfolger gemacht, weil er, wie er selber aus der Ethnie de Cosa stammte.
Bedeutet, er wollte, ich mache es jetzt mal pathetisch, sein Fleisch und Blut stärken.
„We are family.“
Jetzt sage ich was Krasses. Das hat fast so familia mafiöse Strukturen, nämlich zu sagen, besser einer von uns ist mir der nächste, als ein Externer.
Und dieser Cyril Ramapohsa kommt von einer ganz kleinen schwarzen Ethnie und das war damals offensichtlich zu unbedeutend, zu wertlos, zu riskant diesen Menschen in diesen Inner-Circle reinzuholen. Also war er in gewisser Weise an der Stelle mit Blindheit geschlagen.
Geropp
Es ist auch eine Sache, die man sehr häufig hat, dass man, wenn man neue Mitarbeiter auswählt, dass man versucht Leute zu nehmen, die einem ähnlich sind. Das scheint mir hier auch so ein bisschen.
Also Ramapohsa war wahrscheinlich nicht sehr ähnlich, der hatte ähnliche Werte, aber von seiner Art, von seiner Herkunft war er anders und deswegen schlug da dieser, ich komme nicht auf den Namen, wie das heißt momentan, dieses Ähnlichkeitsphänomen, was man häufig antrifft, wo fast niemand gefeit davor ist, dass man sagt, ach, wir haben an der gleichen Uni studiert. Ach das ist aber nett.“ Und schon, obwohl das nichts eigentlich damit zu tun haben sollte.
Kaußen
Das ist ein sehr guter Punkt. Es entstehen Verlinkungen. Heutzutage in der digitalisierten Welt arbeiten ganz viele Leute mit Links. Die kommen ja irgendwo her. Man bewegt sich ja in einer gewissen Blase der Kommunikation von Gleichgesinnten. Und das trifft, glaube ich, den Kern des Themas.
Es muss nicht immer ein Problem sein, es ist aber zumindest ein Phänomen. Und wenn ich das aus meiner anderen beruflichen Welt mal beschreiben darf.
Ich nehme zwei kurze Beispiele. Als ich meinen Doktorvater Helmut König, Professor Doktor Helmut König, aus Berlin stammend, Chef am politischen Institut, politikwissenschaftliches Institut hier an RWTH Aachen.
Als ich ihn fragte nach der Magisterarbeit, könnte ich bei Ihnen promovieren? Sagte er, nein Kaußen, das ist nichts für Sie. Sie sind kein Theoretiker, Sie sind kein Wissenschaftler. Sie sind ja Journalist. Und da habe ich gesagt, was muss ich denn tun, um ein Theoretiker und Wissenschaftler nach Ihrer Definition zu werden? Hat er gesagt, „ja müssen Sie erstmal tausende Seiten lesen.“ Habe ich gesagt, „welche? Lass es uns versuchen.“ So konnte ich promovieren.
Dann habe ich ihn gefragt, „könnte ich jetzt nicht noch eine Professur draufsetzen?“ Da hat er gesagt, „nein, Sie sind kein Mensch für die Hochschule. Bleiben Sie Journalist. Sie können das andere viel besser.“
Und er hat mich zum Glück aus diesen Verlinkungen rausgehalten und hat mich in die Freiheit geschubst und letztendlich bin ich doch Professor geworden, aber nicht auf dem klassischen Wege.
Geropp
Ja. Verstehe.
Kaußen
Zweites Beispiel. Aus meiner Reporter-Tätigkeit. Ganz viele Reporter klingen irgendwie ähnlich in der heutige Medienwelt. Ganz viele Fernsehsender oder Radiosender machen dasselbe. Im Radio nennt man es Format-Radio. Keiner spielt längere Titel als drei Minuten. Keiner macht längere Beiträge als zwei Minuten. Ich nenne es auch so ein bisschen RTLisierung der Medienlandschaft.
Ich habe eben schon mal über gelebte Vorbilder gesprochen. Der König, mein Prof ist eins, weil der ist der intellektuellste, belesendste Mensch, der mir je begegnet ist.
Jetzt habe ich aber auch in der Schiene Sport-Journalistik welche. Manni Breukmann, Gerd Rugenbauer und Marcel Reiff. Ich glaube, die drei würden keinen Beliebtheitspreis bei den Kollegen gewinnen, weil die so Outstanding waren.
Und ich hatte zum Glück mit allen dreien intensiv zu tun und die haben mir im Endeffekt eine Botschaft mitgegeben. Kaußen sei doch du selbst, sei authentisch, mach dein Ding, um noch mal Udo Lindenberg zu zitieren, mach es so, wie du es für richtig hältst, natürlich auf einem gebotenen qualitativen kompetenten Niveau. Aber dann bring deine eigene Stilistik rein.
Damit bin ich leider an allen Arbeitsstellen, ob beim WDR oder sonst wo, an der Hochschule, ich bin immer das schwarze Schaf und konnte es aber quasi qualitativ hinbiegen, dass die Leute denken, der ist zwar komplizierter als die anderen da im Mainstream, aber es ist trotzdem wertvoll ihn im Team zu haben.
Geropp
Ist authentisch.
Kaußen
Thinking out of the box. Nicht angepasster Mainstream zu sein und danach sollten wahrscheinlich Führungskräfte suchen, egal in welcher Unternehmung, in welchem beruflichen Umfeld, suche doch eher nach Leuten, die additiv das Produkt oder das Team bereichern, als nur eine Kopie seiner selbst.
Weil das war dein Ausgangspunkt. Ich suche nach Leuten, aber unbewusst meistens, das ist ja keine bewusste Haltung, die mir ähnlich sind. Ja, dann wird das schon fluppen. Das stimmt natürlich. Da gibt es eine gewisse Harmonie, aber der alte Spruch stimmt auch, Reibung erzeugt Energie und dann wird etwas unter Umständen größeres, konstruktiveres, revolutionäreres draus, als wenn man sich immer mit seines gleichen umgibt.
Geropp
Bleiben wir mal bei den Schwächen von Nelson Mandela. Was sind, aus deiner Sicht, sonstige Schwächen gewesen von Nelson Mandela? Und wie ist er damit umgegangen?
Kaußen
Ich glaube, eine Schwäche resultiert aus seinem Promi-Status, nämlich dass das Familiäre eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Jetzt könnte man aber auch sagen, wenn du über das Thema Allgemeinwohl nachdenken, Altruismus und nicht Egoismus, ist das ja eine Stärke.
Nämlich sich von dem kleineren Tellerrand des Familiären zu lösen und über diesen Tellerrand im Sinne von weiterem Horizont hinauszublicken. Dabei blieb aber seine Rolle als Familienvater auf der Strecke. Und ich glaube, sein größtes Defizit im Leben, was ihn auch am meisten getroffen hat, sind diese gescheiterten Beziehungen zu Frauen, mit denen er Kinder hatte, wo er selber weiß, ich bin dieser Anforderung nicht gerecht geworden, weil ich quasi den Fokus mehr auf etwas anderes gelegt habe. Und das ist etwas, wenn man sich mit seiner Biografie beschäftigt, ich habe tagelang im Sonnenuntergang in Kapstadt sitzend sein 600, 700seitiges Buch gelesen, „Long Walk to Freedom“.
Ich habe dabei auf die Gefängnisinsel Robin Island geschaut, wo er die Mehrheit der Seiten handschriftlich geschrieben hat in seiner Gefangenschaft. Und er hat viel weniger Groll auf die Gefängniswärter und die politischen Zustände als Trauer darüber, dass er seinen familiären Verpflichtungen nicht nachkommen konnte. Jetzt muss man ihn in Schutz nehmen für die Jahre und Jahrzehnte seiner Haft, aber auch als er frei war, vorher und nachher, war er nicht unbedingt der größte Familienmensch, was sich dann aber, als er Rentner war und Opa und Uropa wurde, geändert hat.
Im Endeffekt, ich hatte das Glück den Enkel von Nelson Mandela unmittelbar nach der Beerdigung im Frühjahr 2014 dort kennen zu lernen, wo Mandela beerdigt wurde. Wo er geboren wurde, wo sich quasi sein Lebenszirkel geschlossen hat.
Und dieser Enkel sprach, der ist heute selber im Parlament als Abgeordneter, sprach sehr respektvoll über Madiba, den Vater der Nation und auch über Tata, den Opa und Vater in der Familie. Und das haben wir übrigens bei vielen Menschen, kann ich aus meinem privaten Umfeld bestätigen, oft auch bei Väterfiguren, bei Vaterfiguren, dass sie in ihren intensiven Berufsjahren den Blick auf die Familie ein bisschen verlieren und das karrieristische Denken in den Vordergrund rücken.
Und dann wird, oh Wunder, in der Rückschau auf dieses gelebte Leben oft noch ein sehr herzlicher Opa aus diesem vorher nicht so herzlichen Vater.
Geropp
Ist es nicht so herzlich oder ist es einfach der Zeit geschuldet? Weil, wenn du fokussierst, wenn du Fokus machst, sagen dir viele, ja du musst dich darauf konzentrieren. Aber eigentlich bedeutet Fokus ja hauptsächlich, ich muss zu ganz vielen Sachen nein sagen. Also muss ich in dieser Sache auch zu meiner Rolle als Vater häufig nein sagen, weil ich einfach nicht da bin, also rein zeitlich.
Kaußen
Ich muss das mit einem ganz dicken Ja beantworten, unterstreichen und ein Ausrufezeichen dahinter machen. Habe ich auch biografisch bei mir Situationen erlebt, wo ich mal ein paar Jahre in der Vaterrolle war, mal hier und mal da.
Und tatsächlich war das nicht in meinem Fokus so sehr, wie es vielleicht nötig gewesen wäre und tatsächlich habe ich eine ähnliche Schwerpunktsetzung unternommen, ob bewusst oder unbewusst, wie du es gerade gesagt hast, nämlich Fokus auf die wichtigen Inhalte. Da kommen wir wieder auf das warum zu sprechen.
Geropp
Richtig. Genau. Ja.
Kaußen
Und dann bleibt irgendwie das Familiäre, wie kann man es umsetzen, so ein bisschen auf der Strecke und man bezahlt für alles im Leben einen Preis. Den müssen viele bezahlen. Ich auch. Und ein Mandela hat ihn auch bezahlt.
Geropp
Wenn wir mal zusammenfassen. Ich fand den Begriff sanfte Dominanz, den du geprägt hast, sehr schön. Wie würdest du es noch mal zusammengefasst sagen, was kann man als heutige Führungskraft von Nelson Mandela lernen, wenn wir mal von der sanften Dominanz ausgehen, was können wir davon umsetzen?
Kaußen
Also das Wichtigste an dieser Sanftheit ist das humanistische Denken und dieses Umarmende und auch das Zulassen von Pluralismus, von unterschiedlichen Denkwelten und Argumentationen.
„Aus diesem Pluralismus entsteht dann über den Humanismus ein Universalismus.“
Das waren jetzt viele Ismen. Pardon. Ich versuche es noch mal einfacher zu machen.
Die Menschlichkeit steht im Vordergrund. Das ist die Ausgangsposition, die Basis von allem. Dadurch kommt das Sanfte. Dann kommt das Zulassen von Unterschiedlichkeiten.
Dadurch entsteht ein größeres Ganzes als man vorfinden würde, wenn man nur mit Ähnlichkeiten zu tun hätte. Durch die Unterschiedlichkeit, ein spannendes Thema, neben Gleichberechtigung muss es auch eine Unterschiedlichkeitsberechtigung geben. Das ist das Sanfte.
Dann kommt die Dominanz dazu durch vorgelebte Disziplin, durch Beharrlichkeit, durch Bildung im Sinne von Tiefgang, durch nicht infrage stellen Könnens einer Autorität. Wenn man dann noch das Glück hat, von der Natur reichlich beschenkt zu sein, wie Nelson Mandela, dann kommt da auch noch die Aura, die Ausstrahlung hinzu.
Geropp
Und seine Kommunikationsfähigkeit.
Kaußen
Und die Kommunikationsfähigkeit. Dann gelingt sanfte Dominanz, dass sich nämlich keiner überrollt fühlt, sondern gut aufgehoben in dieser Gemeinschaft, in diesem Team. Und dann gelingt das, wonach wir eigentlich alle streben.
Wenn wir in einem Boot sitzen, ob in einer Unternehmung oder politisch, ob in Europa, ob global, wenn wir es dann schaffen würden in die richtige Richtung nämlich gemeinsam zu rudern, dann hätten wir das Idealbild der sanften Dominanz à la Nelson Mandela umgesetzt.
Geropp
Sehr schön. Eine letzte Frage oder einen letzten Bereich würde ich gerne noch mit dir besprechen, weil mich das auch fasziniert. Du bist in Afrika häufiger gewesen. Ich finde Afrika faszinierend.
Was ist heute im Jahr 2018? Wie wirkt Nelson Mandelas Erbe heute in Südafrika? Und wie steht es um diese Freiheit und Gleichberechtigung, für die er gekämpft hat? Und auch, was würde Nelson Mandela heute zu Südafrika sagen?
Kaußen
Sehr spannende Frage. Ich antworte jetzt mal ganz einfach zuerst, frage mal Papa Francesco. Frage mal den amtierenden Papst Franziskus danach, was würde er zu den afrikanischen Verhältnissen sagen? Was würde er zum heutigen Südafrika sagen? Was würde er zu den globalen Megatrends sagen?
Du würdest keine positive Antwort bekommen. Und wenn es einen Bruder im Geiste gibt von Nelson Mandela, dann ist es Papst Franziskus, so wie ich das fühle. Oder ein Desmond Tutu, der Erzbischof von Kapstadt früher, ein guter Freund Mandelas. Ich habe ihn zum Glück
Geropp
Du hast ihn mal interviewt?
Kaußen
Gut kennen gelernt, ist übertrieben, aber ich durfte ihn ein paar Mal interviewen, mal in Kapstadt, mal in Berlin und, und, und.
Geropp
Du hast mir mal erzählt, dass das derjenige war, der dich als Mensch unheimlich beeindruckt hat?
Kaußen
Ja. Weil der auch diese sanfte Dominanz hatte. Der hatte eine ähnliche Aura. Jetzt wird uns, glaube ich, gerade am Ende unseres Gespräches klar, wie war Mandela?
Schau dir Papst Franziskus an, schau dir Desmond Tutu an, dann weißt du, wie er war und eben nicht wie diese anderen autoritären Typen, über die wir gesprochen haben. Frage konkret beantwortend. Mandela wäre nicht zufrieden mit dem, was seine Nachfolger aus seinem Erbe gemacht haben.
Er würde anprangern, dass die Schere zwischen arm und reich viel zu weit auseinander gegangen ist. Nämlich ironischer Weise ist dieses Auseinanderklaffen zwischen oben und unten in der Zeit nach der Apartheit beinahe noch größer als vorher, weil ganz viele der neuen schwarzen Eliten, ob politisch oder wirtschaftlich, sich selber so bereichert haben und total vergessen haben, wo sie herkommen, wo eigentlich die Millionen Menschen sind, für die sie das tun.
Dieses Warum, die Priorität hat sich komplett verschoben. Mandela würde also die Zustände in Südafrika kritisieren, in Afrika sowieso, denn der Kontinent, muss man sagen, also ich Abitur machte, gab es 600 Millionen Afrikaner, heute die doppelte Zahl und in 30 Jahren werden wir noch mal eine Verdopplung haben, diesem afrikanischen Kontinent ist es nicht gelungen, gesunde Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung aufzubauen, sondern dort herrscht die Idee der Selbstbereicherung an den Staatsspitzen. Schlimmstes Beispiel in Simbabwe. Da regiert einer fast vier Jahrzehnte und ruiniert das Land, was infrastrukturell gute Chancen gehabt hätte.
Geropp
Kornkammer Afrikas.
Kaußen
Aus der Kornkammer Afrikas, Simbabwe, wurden Hungerleider. Und Thema Leider, Mandela würde sagen, leider bewegen wir uns auf dem von mir stellvertretend jetzt skizzierten Weg der Afrikanisierung und auch der Amerikanisierung.
Mit letzterem meine ich Banalisierung, plumpes Streben nach Wohlstand und nicht mehr altruistisches Denken. Und deshalb wäre Mandela, glaube ich, heute ein trauriger Ex-Präsident. Und ich bin für ihn in gewisser Weise froh, dass er das nicht mehr erleben musste bewusst, wer weiß, wo er jetzt ist und uns zuhört, was seine Nachfolger aus seinem Erbe gemacht haben.
Geropp
Stephan, jetzt fällt es mir schwer das Ende schön und positiv zu formulieren. Ich möchte es aber vielleicht so formulieren, dass wir sagen, jeder von uns, der sein Warum wirklich kennt und ein bisschen zu mindestens in Richtung Allgemeinwohl geht, der sollte versuchen auf dem Weg von Nelson Mandela in diese sanfte Dominanz, mit der sanften Dominanz sich zu entwickeln.
Ich würde abschließend gerne mit dem, was du mir in das Buch geschrieben hast, weil das ist genau dieser Punkt. Du hast gesagt,
„Lieber Bernd, ich freue mich sehr über das Interesse an meinem gelebten Vorbild, Nelson Mandela.“
, und dann schreibst du:
„Die Balance aus Mut und Demut lässt sanfte Dominanz wachsen.“
In diesem Sinne bedanke ich mich recht herzlich für das schöne Interview.
Kaußen
Danke. Ebenso. Dankeschön Bernd.
Das inspirierende Zitat
„Die Balance aus Mut und Demut lässt sanfte Dominanz wachsen.“
Stephan Kaußen
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