FPG119 – Komplexithoden – Clevere Methoden zum Umgang mit Komplexität – Interview mit Niels Pfläging
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Vor Kurzem habe ich das Buch gelesen:
„Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität“
Den beiden Autoren Niels Pfläging und Silke Hermann ist damit ein, wie ich finde, wirklich tolles Buch gelungen. Es kommt ohne Storytelling aus und ist trotzdem nie langweilig.
Es ist kein Fachbuch und ist trotzdem ein Fachbuch. Es ist wirklich ganz kurz, gut verständlich, bringt vieles knackig auf den Punkt und regt dabei zum Nachdenken an.
Um was geht es? Die Autoren sind der Überzeugung, dass es neue Organisationswerkzeuge braucht in unseren heutigen Unternehmen. Warum? Nun, weil die Welt komplexer geworden ist. Die Zusammenarbeit weltweit ist komplexer geworden. Die Anforderungen sind komplexer.
Die Unternehmen brauchen deshalb Organisationswerkzeuge, die so lebendig sind, wie die heutigen Märkte und die heutige Arbeit. Dabei geht es im Buch nicht um Gebrauchsanweisungen oder einfache Checklisten, es geht um Verständnis dieser neuen Methoden.
Niels Pfläging
Niels Pfläging ist Berater, Business-Speaker und Autor mit Wohnsitz in Wiesbaden.
Er ist ein engagierter, aber auch pragmatischer Business-Vordenker.Pfläging ist Mitbegründer des BetaCodex Network, einem internationalen Open-Source-Netzwerk.
Fünf Jahre lang war er Controller in multinationalen Konzernen und Direktor des renommierten Beyond Budgeting Round Table BBRT.
Als Ratgeber und Advisor hilft er Managern und Organisationen aller Art in Veränderungsprozessen.
In seinem Buch Führen mit flexiblen Zielen belegte er, dass die Organisation der Zukunft bereits existiert, und zeigte, wie sie funktioniert. Dafür wurde er mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2006 von Financial Times und getAbstract ausgezeichnet.
Sein Buch Organisation für Komplexität: Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht war einer der meist-gelobten Business-Bestseller des Jahres 2014. Ja und heute, heute unterhalte ich mich mit Niels Pfläging über die Inhalte seines neuesten Buchs „Komplexithoden.“
Hier das transkribierte Interview mit Niels Pfläging
Geropp:
Herr Pfläging, Sie schreiben die wichtigste Unterscheidung zum wirksamen Umgang mit Dynamik in Arbeit und Unternehmen ist die zwischen Blau und Rot. Können Sie mal erläutern, was Sie mit Blau und Rot genau verbinden oder was das bedeutet?
Pfläging:
Bei Unternehmensführung, also bei der Arbeit mit Organisationen, mit Unternehmen stelle ich immer wieder fest, dass wir oft davon ausgehen, dass die Mitarbeiter das Problem sind oder die Manager das Problem sind in Organisationen. Dass das Leiten von Organisationen, die Probleme, auf die man so stößt, die Baustellen, mit denen man es tun hat, dass die irgendwie vom Management erzeugt wird, von den Managern oder von den Mitarbeitern. Also in meiner Arbeit als Unternehmensberater, als Buchautor, als Systemtheoretiker, als Vortragsredner, da wird es Ihnen nicht anders gehen.
Da fragt man sich natürlich immer, können die Probleme tatsächlich alle von den Mitarbeitern und den Managern erzeugt werden oder gibt es da andere Gründe? Man fragt sich ja immer, warum ist das so in unseren Organisationen, warum gibt es da so großes Leiden? Und wenn man dann konkret mal auf die Probleme schaut, die beispielsweise derzeit im Volkswagenkonzern so aufgepoppt sind, da kann man sich einerseits fragen,
„Ja okay, gibt es da kriminelle Energie bei den Mitarbeitern?“
Und ich glaube, diese Frage führt zu nichts. In Wirklichkeit, und das ist auch die Sache mit dem Blauen und dem Roten, gibt es einen falschen, einen verkehrten Umgang mit Problemen in unseren Unternehmen. Also wir behandeln komplexe Probleme, als wären sie kompliziert. Wir behandeln rote Probleme mit blauen Werkzeugen und das kann nur ins Scheitern führen.
Geropp:
Wenn ich das richtig verstehe, sagen Sie Blau passt für komplizierte Sachen. Rot für komplexe Herausforderungen und unsere Märkte, unsere Unternehmen sind immer mehr mit konfrontiert, dass es sich um komplexe Sachen handelt und da funktionieren die Methoden, die gut für blaue Probleme passen eben nicht.
Pfläging:
Ganz genau. In Arbeit, in Unternehmen, in Unternehmensführung, in Organisationen reichen sich die blaue Welt und die rote Welt sogar die Hände. In unseren Unternehmen gibt es immer beides.
Wenn ich eine E-Mail schreibe, dann hat das Blaue, standardisierbare, komplizierte, wiederholbare Anteile. Es gibt aber auch rote Anteile, also wie ich jemandem schreibe. Wie ich den anspreche. Ist es Morgen oder Abend? In was für einer Laune ist der? Wie vermittle ich meine Message? Und so ist das in Arbeit auch.
Es gibt diese komplizierten Anteile in Arbeit, diese blauen Anteile und es gibt die roten Anteile, die komplexen Anteile. Die sind nicht antagonistisch, sie sind einfach unterschiedlich. Blau und Rot sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Das Problem entsteht immer dann, wenn wir es mit lebendigen, komplexen, überraschenden Problemen zu tun haben oder da wo es menschelt. Wenn wir da aber rangehen mit blauen Werkzeugen, also komplizierten, mechanistischen Werkzeugen, da gießen wir dann halt Öl ins Feuer.
Geropp:
Ich finde das sehr schwierig. Ich habe mir da Gedanken drüber gemacht, als ich das gelesen habe. Im Prinzip fordern Sie ja, dass es unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Auch dass die Unternehmen unterschiedlich sich verändern müssen, je nachdem ob sie mehr im roten oder im blauen sind.
Aber selbst wenn ich in einem roten Umfeld bin, gibt es ja trotzdem nach wie vor Aufgaben in Unternehmen, die eher blauer Natur sind und die trotzdem von den gleichen Menschen durchgeführt werden müssen, die sonst vielleicht auch in Projekten arbeiten. Projektarbeit ist ja sehr stark eher Rot getrieben nach Ihrer Auffassung.
Wenn ich so blaue Arbeiten habe, also häufig immer wiederkehrende Arbeiten, müssen da nicht Prozesse befolgt werden auch von Projektmitarbeitern? Ist da die Einhaltung von Prozessen nicht auch durchaus wichtig und richtig?
Menschen haben keinen Umschaltknopf. Auf der einen Seite muss ich von den Menschen die Befolgung von Prozessen erwarten können, damit diese blauen Arbeiten sauber erledigt werden. Auf der anderen Seite aber auch, dass sie mit komplexen Sachen umgehen können. Wie sehen Sie das?
Pfläging:
An der Stelle wird es halt sehr, sehr spannend. Natürlich gibt es in Unternehmen immer noch blaue Arbeit gewissermaßen, also Dinge, die wiederholbar, standardisierbar, regelbar sind. Und es gibt eben rote Anteile in der Arbeit.
Die roten sind jetzt seit 30, 40 Jahren, seit Beginn des Wissenszeitalters wieder sehr viel stärker geworden. Und die sind vor allen Dingen Wettbewerbsentscheidend. Daran hängt letztendlich das Überleben.
Die blaue Arbeit, die kann natürlich eigentlich jeder verrichten, der sich an Standards und Regeln halten kann. Letztendlich kann das auch ein Roboter machen. Man sieht das immer sehr schön aktuell. Auf YouTube gibt es ganz viele Videos, wo Roboter den magischen Würfel da von Cubric lösen. Das ist eine blaue Aufgabe. Das ist zwar schwierig. Es ist kompliziert, aber für eine Maschine, die weiß, wie das geht, die die Algorithmen hat, ist es einfach, ist das trivial.
Was macht man jetzt mit Arbeitern oder Mitarbeitern, die da eben wiederholbare, standardisierte Arbeit zu tun haben?
Geropp:
Nicht nur die, sondern auch ich selbst. Selbst wenn ich in einem Projekt bin, irgendwann muss ich meine Reisekostenabrechnung machen. Die ist ja eigentlich eher eine blaue Aufgabe.
Pfläging:
Absolut. Unsere Buchhaltung und die Reisekostenabrechnung, genau, das ist alles Blau. Das ist ja weder gut noch schlecht. Das ist halt einfach, da sagt man dann ab und zu das ist ein bisschen langweilig. Da gibt es keine Herausforderung. Aber das kann auch ganz entspannend sein. Also ich mache ganz gerne Buchhaltung abends.
Geropp:
Okay. Ich wollte jetzt sagen, ich hasse das. Also bei mir ist es Steuererklärung. Da kriege ich Pickel, aber gut, das ist was, ich verstehe, was Sie meinen.
Pfläging:
Ist vor allen Dingen äußerst kompliziert die Steuererklärung.
Geropp:
Oh ja.
Pfläging:
Also wenn man die nicht beherrscht, ist es sehr kompliziert. Also das Blaue ist ja nicht unbedingt simpel. Das Blaue ist für den Erfahrenen, für den Kenner oder den Könner ist das simpel.
Aber zurück zur Frage. Einer der wesentlichen Irrtümer in unseren Organisationen, sozusagen fehlgeleitete Wege in Organisationen, ist es zu sagen:
„Na gut, da ist die Arbeit vielleicht eher langweilig, eher eintönig, eher blau, dann müssen die Arbeiter kontrolliert werden.“
Und jetzt wandeln wir das mal um. Es gibt ja keinen Grund solche Arbeit zu kontrollieren. Das ist anders, als noch vor 100 Jahren im Industriezeitalter zur Zeit Frederic Taylors und Henry Fords.
Menschen in unseren Organisationen sind gebildet. Sie können eigentlich alle lesen, schreiben, rechnen. Sie können alle Prozesse auch selber befolgen, die sie vielleicht sogar selber definiert haben und sie können selber ihre Arbeit verbessern, aber wir machen das nicht. Wir wollen dann steuern.
Das ist gewissermaßen eine Gewöhnung aus dem Industriezeitalter, das Erbe des Industriezeitalters. Wir glauben, wir müssen jetzt Mitarbeiter bei den selbstverständlichsten Handgriffen noch alles vorschreiben.
Aber was wir gelernt haben von Pionieren, Pionier-Unternehmen, wie Toyota und Co. ist, dass durchaus Teams sich selber ja Standards geben können. Es braucht keinen externen Manager oder Supervisor zu geben, der die Arbeit da steuert. Die können sich selber steuern. Die können selbst ihre Arbeit verbessern.
Die können auch die roten Teile ihrer eigenen Arbeit dann übernehmen, nämlich die Arbeit selbst zu verbessern wieder. Das ist ja dann durchaus komplex und sehr lebendig. Möglich ist das, aber dazu müssen wir den Prinzipien der Selbststeuerung vertrauen. Und ich glaube daran mangelt es eher.
Geropp:
Das ist dann, glaube ich, auch verdammt schwer in einem Unternehmen, in dem die Leute schon 20 Jahre lang mehr Blau geführt wurden, das dann zu ändern. Auch die Leute dahin zu bringen, dass sie selbst jetzt Selbstverantwortung haben können. Was ist da Ihre Erfahrung? Wie schnell oder geht das überhaupt in so einem großen Unternehmen? Nehmen wir jetzt zum Beispiel bei VW, was da passiert ist?
Pfläging:
Ja, ich glaube da gibt es noch eine alternative Herangehens- oder Herandenkensweise. Im Industriezeitalter war der blaue Teil der Wertschöpfung sehr, sehr wichtig. Der war sogar dominant. Viel wichtiger als heute. Heute haben wir das Meiste davon wegautomatisiert. In Software gegossen, in Algorithmen getan, eingepflanzt. Also viel von der blauen Arbeit ist verschwunden in Maschinen letztendlich oder in Software.
Aus dieser Zeit haben wir halt gelernt, dass man Unternehmen steuern kann und steuern sollte und blaue Arbeit steuern kann und steuern sollte. Heute kann man das immer noch steuern, man sollte es aber nicht. Und das ist, glaube ich, der wesentliche sozusagen der wesentliche Zeitenwandel.
Wir sollten davon Abstand nehmen überhaupt noch in Unternehmen zu steuern, Vorgabe, Planung, Anweisungen, Regeln, über Regelungen, denn die roten Anteile in der Wertschöpfung die sind eigentlich überall da, außer bei den Standard-Tätigkeiten, die es immer noch gibt, aber in manchen Fabriken haben wir überall rote Anteile drin. Menschen sind da sehr anpassungsfähig, was die Anpassung an blaue Tätigkeiten, rote Tätigkeiten und sowas angeht.
Aber wenn wir sie erstmal fremdsteuern diese Menschen, diese Mitarbeiter oder Teams und wenn wir sie in eine Rolle der Hörigkeit rein bringen, dann verhalten sie sich auch entsprechend.
Man könnte sagen, die Steuerung ist sowas, wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wen wir steuern, der wird dann hörig werden und das passiert tatsächlich. Wir konditionieren die Mitarbeiter in so eine Willfährigkeit rein. Eigentlich wollen wir das nicht, aber unsere Werkzeuge erzeugen das.
Geropp:
Also ich verstehe das. Bis zu einem gewissen Grad bin ich da auch bei Ihnen. Ich stelle mir jetzt nur gerade in einer Fabrik vor. Es gibt da ja auch zum Beispiel Vorgaben für Sicherheit. Wir müssen einen Helm tragen. Was machen Sie, wenn der Helm nicht getragen wird?
Pfläging:
Na, ich war jetzt neulich in einem IT-Software-Unternehmen. Das war ganz interessant. Da gab es an einer Tür so ein hübsches Schild, da stand drauf
„Hier sorgt ein Schild für Ordnung.“
So ein Schild ist mit Sicherheit keine Komplexithode. Das funktioniert ja nicht. Die Vorgabe funktioniert nicht.
Was funktioniert, damit Mitarbeiter einen Helm tragen, ist ihr Bewusstsein zu erhöhen für das Thema Arbeitssicherheit. Ja, es wichtig zu machen, es auf den Rang zu heben, wo Sicherheit hingehört als Thema.
Das Gleiche müssten wir machen mit dem, wie Rentabilität, Qualität, Kundenbindung. Menschen haben kein Problem sich Kundenbindung vorzustellen oder Qualität oder Rentabilität. Das ist ja Menschen in Arbeit wichtig. Das weiß ja heute jeder.
Geropp:
Da bin ich noch nicht ganz.
Pfläging:
Da sind wir nicht beieinander?
Geropp:
Bleiben wir noch mal bei dem Sicherheitsbedürfnis. Wir leben in einer Demokratie in Deutschland. Trotzdem gibt es eine Strafe, es ist absolut Blau, wenn ich im Auto fahre und den Sicherheitsgurt nicht angelegt habe.
Das gleiche machen die Unternehmen mit dem Sicherheitshelm. Jetzt sagen Sie,
„Nein, man sollte da drauf vertrauen, dass die Leute das machen.“
Wir vertrauen aber in der Gesellschaft gar nicht drauf oder?
Pfläging:
Nein. Also wenn wir gar nicht drauf vertrauen würden, dass Leute sich an Regeln halten, dann müssten überall an den Ecken Polizisten stehen und mit Knüppel in der Hand. Das ist aber nicht so. Wir machen da Stichprobenkontrolle im Verkehr.
Geropp:
Aber wehe es passiert was, dann gibt es auch eine Strafe.
Pfläging:
Ja. Ja. Genau. Wenn man erwischt wird, dann gibt es auch eine Strafe. Aber die Strafe ist ja nur ein Ritual. Das darf man nicht so ernst nehmen.
Geropp:
Wenn ich meinen Führerschein verliere, dann nehme ich das schon ziemlich ernst.
Pfläging:
Genau. Aber wir haben ja keine Sensoren im Auto eingebaut. Also wenn wir tatsächlich allen misstrauen würden allen Autofahrern, dann müsste es in den Autos Sensorik geben gegen Alkoholkonsum oder Schnellfahren oder so.
Geropp:
Okay. Ich hoffe, dass wir nicht auf dem Weg sind.
Pfläging:
Genau. Also wir als Gesellschaft gehen ja vom mündigen und verantwortungsvollen Bürger aus. Man könnte sagen, das Problem in Organisationen ist, dass wir vom unmündigen Mitarbeiter ausgehen. Das ist bis heute ein Problem.
Unser Menschenbild in Organisationen ist ein Problem. Nur wenige Unternehmen haben sozusagen diese Unterstellung der Unmündigkeit und des X-Menschen nach Douglas McGregor tatsächlich aufgegeben, sind komplett davon abgekommen. Aber diese Unternehmen, so die DM Drogeriemarkts dieser Welt, die Toyotas, haben dann ganz andere Unternehmensführungsmodelle entwickelt.
Das ist ganz wesentlich für den Übergang von Weisung und Kontrolle, von traditionellem Management als Kontrollphilosophie hin zu ja „Empowernden“ radikal dezentralisierten Autonomie fördernden Unternehmertum im Unternehmen.
Geropp:
Sie sind ja auch Anhänger der relativen Ziele und der relativen Leistungsmessung. Was mir besonders gut gefällt. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, sind die fixierten Ziele mehr so Management by Objectives. Die sind Cost-Center-Denken fokussiert und das hilft Ihrer Meinung nicht bei diesem Umgang mit der Komplexität, mit dem Roten, mit dem Unvorhersagbaren.
Vielleicht können Sie mal erläutern, wie funktioniert das genau mit relativen Zielen und der relativen Leistungsmessung.
Pfläging:
Da bin ich vor über 15 Jahren ungefähr drauf gestoßen. Ich war Teil eines Forschungsprojekts, in dem wir diese Mythologie der relativen Ziele untersuchten. Ausgangspunkt davon ist: Wenn die Welt und die Wertschöpfung roter wird, also dynamischer, dann hat man das Phänomen der komplexen Systeme: Komplexe Probleme die konfrontieren uns mit Überraschungen.
Die Welt ist die Domäne des Roten, ist die Welt der Überraschung. Da gibt es Dynamik, da gibt es Komplexität, da gibt es Überraschungen. Wenn man jetzt Überraschungen hat, das muss man mal ein bisschen einsinken lassen.
Ich war ja früher mal Controller. Mir ist da sehr schwer gefallen am Anfang. Wenn es da Überraschungen gibt, dann kann ja Unternehmensplanung, dann kann Jahresplanung und feste Zielvorgaben für den nächsten Monat, das nächste Quartal, das nächste Jahr, das kann ja nicht funktionieren.
Wenn Überraschungen häufiger werden, wird Planung, jede Form von Planung zu einem überflüssigen oder schädlichen Werkzeug. In der Regel schädlich. Da hat man sowas, wie bei Volkswagen, wo die Mitarbeiter Ziele kriegen wie:
„Naja ihr müsst, wir müssen am Markt wachsen. Ihr habt strikte Kostenvorgaben, die dürft ihr nicht überschreiten und die Umweltstandards müssen irgendwie besser werden. Also wir erwarten von euch Magie. Tut das oder es geht euch schlecht.“
Was machen die Mitarbeiter? Magie. Da schreibt man halt eine Software. In der Logik des Systems von Management by Objectives ist das perfekt. Also tricksen. Menschen schlagen das System. Das macht das Management natürlich genauso wie die Mitarbeiter.
Das ist so ein Zwischenspiel. Da ist keiner von den Akteuren eigentlich als Einzelner greifbar oder verantwortlich. Das Problem liegt im System. Wenn wir in einer roten, dynamischen Welt auf Steuerung beharren, dann steuern wir den Laden halt gegen die Wand. Das ist das große Problem mit Management by Objectives. Eigentlich ist das in den 70er Jahren gestorben. Das ist eine Zombie-Technologie geworden. Diese ganzen Zielvorgaben, Zielverhandlungen, Mitarbeiterbeurteilung, Bonussysteme, die da noch dranhängen.
Was ist jetzt die Alternative? Die Alternative ist erstmal davon abzurücken Einzelleistung messen zu wollen und bestimmen und vorhersagen zu wollen. Das ist ein Denkfehler aus blauer Zeit.
Rote Wertschöpfung ist immer arbeitsteilig. Sie entsteht eigentlich in den Zwischenräumen zwischen Menschen. Und wenn man das mal an sich ranlässt diesen Gedanken und das ist überhaupt nicht esoterisch, sondern das ist ganz wissenschaftlich, systemwissenschaftlich betrachtet, dass Leistung immer in Teams entsteht. Sollte man eben bei Teamzielen auch aufhören. Man sollte nicht weiter runter drillen. Teams sind die kleinste Leistungseinheit. Einzelne Menschen erfüllen Aufgaben. Sie tun Dinge. Aber Leistung entsteht eben zwischen Menschen.
Geropp:
Sie gehen da sehr radikal ran. Sie sagen: „Das ist immer so.“ Ich verstehe, dass das häufig so ist, ich würde nicht sagen, dass es immer so ist oder?
Pfläging:
Immer dann, wenn Rot drin ist, ist das so. Doch, doch, das kann man schon sagen. Also Unternehmen gibt es ja nur, weil der Einzelne diese Leistung nicht alleine erbringen kann. Das ist mal ganz logisch. Also man nennt das Transaktionskosten-Theorie in der Volkswirtschaft.
Unternehmen existieren, weil der Einzelne diese Dinge nicht tun kann. Der Einzelne kann kein Auto bauen, deswegen gibt es Volkswagen und Tesla und Toyota. Auf der anderen Seite dann zu sagen,
„Und jetzt messen wir dann in der Organisation die Leistung des Einzelnen.“
ist eigentlich Quatsch. Und das ist jetzt die eine Sache, dass das Blödsinn ist, aber das Fatale ist, wenn wir einzelnen Menschen Zielvorgaben geben und dann Anreize setzen, damit die Ziele erreicht werden, dann tut der einzelne Mitarbeiter eben, er schlägt das System. Er trickst.
Die relativen Ziele gehen jetzt davon aus, dass wir auf der Team-Ebene aufhören. Wir versuchen nicht den einzelnen Mitarbeiter zu steuern, wir versuchen auch nicht Teams zu steuern, wir geben Teams und der Gesamtorganisation aber Mittel, um ihre Leistung selber einzuschätzen und einen Impuls, den unternehmerischen Impuls dahin zu lenken, die Leistung tatsächlich zu verbessern.
Wir steuern also nicht Mitarbeiter und Teams, sondern wir geben Teams Leistungsmessung, damit sie dann daran arbeiten, besser zu werden. Bei Toyota in den Unternehmen in Japan nennt man das Kaizen. Und das funktioniert. Also diese relativen Ziel haben wir dann eben auch gefunden in Unternehmen, wie bei Toyota, wie bei Handelsbanken, wie bei DM Drogeriemarkt. Da braucht man halt nicht mehr planen, nicht mehr steuern und nicht Ziele verhandeln.
Geropp:
Sehen Sie denn momentan in einem Gros der Firmen, dass es da, dass da umgeschwenkt wird in diese Richtung oder hält man doch noch an den alten hauptsächlich fest momentan an dem alten, blauen Denken.
Pfläging:
An dem mechanistischen Denken? Ja. Also ich glaube, was sich getan hat in den letzten zehn Jahren, fünfzehn Jahren seit ich an diesem Thema arbeite und auch beratend tätig bin, merke ich schon, dass es jetzt eine viel, viel größere, unfassbar viel größere Bereitschaft zum anders Denken gibt. Das ja.
Also wenn Sie fragen, arbeitet das Gros der Unternehmen transformal in diesem Sinn da seine Unternehmensführung zu verändern, das sehe ich noch nicht. Also ich sehe nicht das Gros der Unternehmen sich transformieren oder die Konzerne bewegen sich da wenig. Und wenn sie sich bewegen, sie zucken wahrscheinlich und tun was. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Herr Geropp.
Geropp:
Das sehe ich genauso.
Pfläging:
Also da fehlt noch ein bisschen was. Man könnte sagen, wir haben den Tipping-Point noch nicht erreicht.
Geropp:
Ich glaube auch, dass es für ein großes Unternehmen viel, viel schwieriger ist, als für ein kleines Unternehmen sich in diese Richtung zu verändern, weil in einem kleinen Unternehmen, sagen wir mal, in so einem zwei-, dreihundert Mann Unternehmen, da ist meist noch der Inhaber drin. Der hat eine andere Möglichkeit, Sachen zu verändern.
Nehmen Sie hingegen eine normale Aktiengesellschaft, die hat keinen wirklichen Inhaber, Unternehmer mehr. Das sind alles angestellte Manager und das Unternehmen ist am Aktienmarkt. Die Aktionäre interessiert es in der Regel nicht. Die wollen ihren Profit haben. Ja von wem soll die Veränderung kommen?
Pfläging:
Ja die Veränderung in der Unternehmensführung wird, da bin ich mir sicher, von uns allen kommen. Also von den Menschen in Arbeit. Wir können nicht warten bis das Schulsystem sich ändert oder der Kapitalmarkt irgendwie anders wird.
Geropp:
Richtig. Aber die Änderung wäre dann wahrscheinlicher, dass man sagt, wisst ihr was, rutscht mir den Buckel runter, ich gehe irgendwo anders hin. Ich gehe zum kleinen Unternehmen.
Pfläging:
Da gibt es das Problem, dass kleine Unternehmen, wenn sie größer werden sich ja auch diese übertrieben bürokratisch, mechanistischen, hierarchischen Strukturen zulegen.
Das Start up ist keine Lösung. Das Start up ist leider keine Lösung. Also klar im Start up gibt es diesen Himmel des Entrepreneurship, wo man mit der hohen sozialen Dichte, der hohen Verantwortung im Miteinander-Füreinander. Das stimmt.
Aber das erodiert ja sobald das Start up 20, 30, 50, 100 Leute hat oder wenn es schnell wächst, dann hat man die erste Krise. Wir nennen dieses Phänomen Seitenwind-Anfälligkeit. Dann legt man sich die gleichen Strukturen zu oder noch schlimmer, als der Großkonzern. Man legt sich genau die Denkfehler zu, die die großen, alten Unternehmen schon haben. Das ist nicht der Weg. Um Unternehmensführung auf breiter Front zu verändern, brauchen wir erst dieses Umdenken und dann die Arbeit am System.
Geropp:
Ja, aber die Frage ist, von wem kommt es? Und meine Überlegung momentan, so wie ich das verstehe, ist, ich erkenne, dass zum Beispiel ein mittelständischer Unternehmer erkennt, hier muss sich was verändern und er hat die Macht das zu verändern, weil das Unternehmen gehört ihm und er hat eine langfristige Vision in der Regel.
Ein großes Unternehmen, ein Konzern hat in der Regel keine Vision mehr. Das ist alles Blabla. Die Leute, die das Sagen haben, sind angestellte Manager. Die werden von den Aktionären dafür bezahlt, dass sie Profit abliefern. Da geht es nicht mehr um die Vision. Da sehe ich die größte Schwierigkeit.
Für die Veränderung muss jemand oder eine gewisse kleine Masse da sein und die muss oben sein. Das hat keinen Sinn, wenn die im mittleren oder unteren Management sind. Da passiert nichts, weil es gar nicht in diesem blauen System vorgesehen ist, dass da von unten was nach oben kommt. Das sind meine Gedanken dazu. Da wüsste ich gerne, wie Sie dazu stehen?
Pfläging:
Ich bin da deutlich zuversichtlicher vielleicht so im Gesamtblick auf das Thema, als Sie. Ich glaube, dass wir in der Unternehmensführung in Organisationen derzeit einen großen Ideenmangel haben. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir dieses Buch gemacht haben, diese Blau-Rot-Unterscheidung treffen und sagen, es gibt eben tote Methoden.
Die sind nicht sehr hilfreich im Umgang mit Komplexität. Wir brauchen tatsächlich diese Komplexithoden. Wir haben gar keine andere Wahl. Es gibt keine Wahl. Das Problem ist nur, wenn wir nicht erkennen, was der Unterschied zwischen Blau und Rot ist, dann können wir auch nicht nach den richtigen Organisationswerkzeugen suchen. Wir haben gar keine Möglichkeit, die zu finden. Deswegen sind diese Unterscheidungen so wichtig. Und jetzt kommt der Clou.
Ich glaube, es ist egal, wer diese Werkzeuge findet, wer diese Idee hat, dass Unternehmensführung jenseits von Weisung und Kontrolle, jenseits von partitionellem Management existiert.
Ich glaube, diese Ideen, die sind mehr so, wie Schimmel. Also wenn ich Milch habe und die steht da rum ganz lange, irgendwann, irgendwo an irgendeiner Stelle gibt es einen Schimmelpilz und dann schimmelt das so durch. Und irgendwann wird sowas ähnliches wie Käse draus.
Geropp:
Schönes Bild.
Pfläging:
Und so ist organisationaler Wandel auch. Der passiert nicht von der Spitze runter. Natürlich muss dieser Schimmel irgendwann auch das Management durchschimmeln, also die Manager durchschimmeln sozusagen, kontaminieren könnte man sagen, aber losgehen kann das von überall.
Wir beobachten da ja sehr, sehr vielversprechende Ansätze aus der Software-Entwicklung. Beispielsweise aus der agilen Szene, dass da ein Denken entsteht, das sich immer mehr natürlich auch durchsetzt und immer mehr durchsickert. Erst noch heimlich, aber das kann unheimliche Wirkung haben. Davon bin ich überzeugt.
Geropp:
Herr Pfläging, als letzte Frage, was ist Ihr wichtigster Tipp für Unternehmer und Führungskräfte, die in einem solchen Umfeld sind, um erfolgreich und erfüllt zu sein?
Pfläging:
Erfolgreich und erfüllt, das klingt so nach der individuellen Ebene. Ich glaube, wir alle werden erfolgreicher und erfüllter leben können und wir werden mehr Glück und mehr Lernen und mehr Wachstum sehen, sowohl individuell, als auch in Unternehmen, wenn wir den Blick wegrichten von der Personalentwicklung und hinrichten zur Organisationsentwicklung.
Ich glaube eines der tragischen Missverständnisse in der Unternehmensführung der letzten 50 oder vielleicht auch 70 Jahre ist, das Problem irgendeinem Menschen zu liegen scheint, weil nur Menschen ein Verhalten an den Tag legen und das kann man dann so leicht beobachten, aber in Wirklichkeit kommen eben 95 Prozent der Probleme aus dem System, das wir geschaffen haben und nicht aus den Menschen.
Menschen verhalten sich in existierenden Organisationsmodellen in Strukturen, in Systemen konsistent. Wenn man da erstmal mit Budgetierung und Vorgaben und Reisekostenrichtlinien und Mitarbeiterbeurteilung auf Menschen „draufschlägt“, dann verhalten die sich systemkonform und das sieht dann sehr dumm aus.
Meine Anregung ist mein Tipp sozusagen: Wir müssen anfangen gemeinsam in Organisationen am System zu arbeiten, egal ob wir da 20 Leute haben oder 200 oder 200.000. Und wenn wir anfangen gemeinsam am System zu arbeiten, dann geht diese Veränderung sehr schnell.
Meine These ist, egal ob 20 oder 200.000 Mitarbeiter, ein Unternehmen von Weisung und Kontrolle, von Hierarchie, von Pyramide, von Management as usual zu transformieren zu dezentralisiert, radikal Rot, radikal Pfirsich, wie ich das nenne oder Beta, wie ich das gerne nenne, das dauert nicht länger als zwei Jahre.
Geropp:
Okay. Also ich bin noch ein bisschen skeptisch, aber ich fand es hoch interessant mich mit Ihnen über diese Thematik zu unterhalten und ich bin mir sicher, dass wir uns demnächst noch mal über diese Sachen unterhalten werden. Ich bedanke mich.
Pfläging:
Da würde ich mich drüber freuen.
Geropp:
Ja. Ich bedanke mich recht herzlich, Herr Pfläging, für Ihre Zeit und für das Interview und bis demnächst. Danke.
Das inspirierende Zitat
„Aphorismen sind der Versuch die Komplexität der Welt durch einen blöden Spruch zu erklären.“
Martin Eberth
Weiterführende Links
- Webseite von Niels Pfläging
- Das neuste Buch von Niels Pfläging:
Komplexithoden! - Buch:
Beyond Budgeting - Buch:
Führen mit flexiblen Zielen: Praxisbuch für mehr Erfolg im Wettbewerb - Selbstverantwortung oder Abhängigkeit: Interview mit Boris Grundl
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