FPG020 – Null Fehler Strategie: Der Fehler Wahnsinn in Unternehmen!
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Auf der einen Seite will jeder Unternehmer, dass seine Produkte fehlerfrei produziert und ausgeliefert werden. Fehler sollen vermieden werden bzw. gar nicht erst entstehen.
Auf der anderen Seite können der Unternehmer wie auch die Mitarbeiter sich nur weiterentwickeln, wenn Sie etwas Neues ausprobieren, wenn Sie auch mal Fehler machen können und dürfen.
Wie lässt sich dieser Konflikt bei einer Null-Fehler-Strategie im operativen Tagesgeschäft lösen?
Im Folgenden lesen Sie einige Ausschnitte hierzu aus meinem Buch:
Ist die Katze aus dem Haus – So arbeiten Ihre Mitarbeiter eigenverantwortlich und selbstständig!“:
Die Null-Fehler-Strategie oder Falle?
Auf der Website eines großen, international agierenden Industriekonzerns ist zu lesen:
„»Null Fehler« in allen Prozessen und Produkten
Qualitätsdenken ist in unserer Unternehmenskultur seit jeher tief verankert und wird tagtäglich gelebt.
Ein konsequentes und durchgängiges Qualitätsmanagement in allen Phasen – von der Entwicklung bis zur Serienfertigung – gewährleistet höchste Produktsicherheit.
Das Ziel unserer Qualitätspolitik erschöpft sich nicht darin, fehlerhafte Produkte zu entdecken und auszusortieren. Unser Qualitätsdenken sorgt vielmehr dafür, dass Fehler erst gar nicht entstehen. »Null Fehler« ist deshalb das erklärte Unternehmensziel der (…) Gruppe.“
Diese Regelung hat eine Geschichte. Als sie auf einer Managementtagung des Konzerns eingeführt wurde, war auch der damalige Geschäftsführer des industriellen Servicebereichs anwesend. Nennen wir ihn Bernd Geropp. Er wagte es, den Vorstandsvorsitzenden mit folgendem Einwand zu unterbrechen:
„Ich sehe ein, dass dieses Ziel für die Produktion wichtig ist. Ich sehe aber nicht, wie es für unseren Bereich, die Softwareentwicklung, umsetzbar sein soll. Keine Software ist jemals fehlerfrei. Das kriegen wir nicht hin, da müssten wir uns zu Tode testen!“
„Null Fehler ist unser Ziel“, lautete die Antwort, „in allen Prozessen: Es bleibt dabei!“
Perfektionsanspruch in Unternehmen
Bei vielen Unternehmen herrscht ein allgemeiner Perfektionsanspruch, der einem Wirkungsgrad von 100 Prozent gleichkommt. Schütteln Sie nicht den Kopf – diese Erwartung hat durchaus ihre Berechtigung, auch wenn sie den Umgang zwischen dem Chef und seinen Mitarbeitern tendenziell erschwert.
Die Krux ist die: Beschwert sich ein Kunde über ein fehlerhaftes Produkt, überkommt den perfektionistisch denkenden Unternehmer sofort die schiere Angst um seine Existenz.
Er sieht seinen guten Namen in Gefahr. Womöglich verliert er nicht nur diesen Kunden, sondern noch zwei weitere. Der Ruf seines Betriebs wird leiden. Der Umsatz wird sinken. Die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter sind gefährdet.
Im Grunde weiß der Chef, dass diese Sorge übertrieben ist. Er will auch keinesfalls Panik verbreiten. Aus seiner eigenen Sicht hält er sich schwer zurück, vermeidet jede Anspielung auf Umsatzrückgänge und sagt im Meeting nur zu seinen Mitarbeitern:
„Der Kunde hat sich bei mir beschwert! Leute, das geht ja gar nicht. Reißt euch zusammen, so blöde Fehler wie bei diesem Produkt dürfen wir nie mehr machen!“
Was bei den Mitarbeitern hängenbleibt, ist aber:
„Wir dürfen keine Fehler machen!“
Auch wenn der Chef sich differenzierter ausgedrückt hat, signalisiert er durch seine Emotion den Mitarbeitern ungewollt: Fehler sind grundsätzlich nicht erlaubt!
Das Problem der „Null-Fehler“-Mentalität
Gerade wo ein winziger Fehler im Zweifelsfall katastrophale Auswirkungen hat, ist die „Null-Fehler“-Mentalität sehr verbreitet. Zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt. Selbst mit der kleinstmöglichen Fehlerrate besteht für Passagiere oder Astronauten ein hohes Sicherheitsrisiko, das es zu beseitigen gilt.
Hier wird das Gesamtsystem so konzipiert, dass es mögliche Fehler direkt kompensieren kann. Das funktioniert natürlich nur bis zu einem gewissen Grad – Hauptsache, es kommt nicht zum Absturz.
Aber auch, wenn der Produktionsprozess selbst gefährlich ist – beispielsweise weil mit schwerem Gerät oder hochgiftigen Chemikalien gearbeitet wird –, kann jeder Fehler, jede Änderung im Ablauf katastrophale Folgen haben. Diesmal für die Mitarbeiter.
„Da haben Sie aber Glück gehabt! Sie kennen doch unsere Sicherheitsrichtlinien? Die verbieten eigentlich, was Sie gemacht haben. Da hätte wer weiß was passieren können. Hier ein Exemplar der Richtlinien. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lesen Sie mir die bitte gleich mal laut vor!“
Ein gelassener Umgang mit Fehlern ist auch überall dort schwierig, wo Einzelteile produziert werden, die in wesentlich größeren und entsprechend teuren Systemen eine kleine, aber entscheidende Rolle spielen.
Stellen Sie sich ein Großunternehmen vor, das im Automotive-Bereich tätig ist. Pro Tag werden Millionen von Einzelteilen wie kleine Kipphebel hergestellt, die an alle wichtigen Autobauer geliefert werden – VW, Audi, Mercedes …
Ist das Muster eines bestimmten Kipphebels fehlerhaft, so droht ein Kostendesaster, wenn ein halbes Jahr später serienweise ausgelieferte KFZ zurückgerufen werden müssen.
Deshalb bemüht man sich, die Fehlerquote auf ein Minimum zu reduzieren. Günstigenfalls hat nur noch jedes Millionste Einzelteil einen Fehler – und wird vor der Lieferung an den Autobauer aus dem Verkehr gezogen.
Fehlerminimierung kostet Geld!
In all diesen Bereichen kostet die Fehlerminimierung extrem viel Zeit und Geld. Da fließen Milliarden hinein. Die Entwicklung der Software eines Space Shuttles teilt sich in etwa so auf: 10 Prozent der Gesamtsumme fließen in die Codebase. Die restlichen 90 Prozent verschlingen die Testreihen.
Doch selbst wenn es 99 Prozent wären: Eine Fehlerquote von Null wird nie erreicht. Das ist bei derart komplexen Projekten und Systemen schlicht nicht möglich.
Fehlerfreiheit ist Illusion!
Ebenso wie der hundertprozentige Wirkungsgrad einer technischen Anlage oder Maschine nie erreicht werden kann, ist in der unternehmerischen Praxis absolute Fehlerfreiheit über einen längeren Zeitraum hinweg unmöglich.
Durch sorgfältige Arbeit und mehrfache Kontrolle können Fehler reduziert werden. Ganz ausbleiben werden sie nie. Dafür steigen die Kosten zur Fehlervermeidung umso stärker, je mehr sich der Arbeitsprozess der Perfektion annähert. Diese Kosten bestehen nicht nur im Kontrollaufwand. Noch mehr ins Gewicht fällt, dass bei größtmöglicher Fehlervermeidung auch Kreativität und Eigenständigkeit der Mitarbeiter nahe Null gedrückt werden.
Lean Management, Six Sigma etc.
Nun sind diese Zusammenhänge jedem erfahrenen Produktionsleiter wohl bewusst. Er ist darauf geschult, wie er vorgehen muss. Er kennt Prinzipien wie Lean Management und Methoden der Qualitätssicherung wie 6σ (Six Sigma). Bei der Forderung „null Fehler“ wird er wissen, was damit gemeint ist: eine Minimierung der Fehlerquote.
Außenstehende dagegen durchschauen nicht so leicht, was „null Fehler“ eigentlich bedeutet. Selbst Vorstandsvorstände und mittelständische Unternehmer sitzen mitunter dem Irrtum auf, es dürfe wortwörtlich keine Fehler geben. Diese Denkweise ist vielfach stark verwurzelt.
Wenn dann ein solcher Vorgesetzter auf Mitarbeiter stößt, die die Übersetzung:
„Null Fehler = so wenig Fehler wie möglich!“
nicht kennen, sind Konflikte vorprogrammiert. Ein Vertriebsmitarbeiter oder Softwareentwickler wird sich vor Lachen auf die Schenkel klopfen, wenn von ihm „null Fehler“ verlangt wird. Weil er weiß, dass dieses Ziel schlicht nicht zu realisieren ist.
„Null Fehler, so ein Schwachsinn!“,
sagt sich der Vertriebsmann.
„Fehlerfreie Software – hä?“,
denkt der Programmierer entgeistert.
„Wann soll ich sie denn ausliefern, am Sankt-Nimmerleinstag?“
Und irgendwann kommen sie beide auf den Trichter:
„Na, wenn der Chef null Fehler will, dann soll er auch null Fehler kriegen!“
Wo keine Fehler sein dürfen, da gibt es schließlich auch keine. Zumindest nicht offiziell. Das heißt: Natürlich passieren noch Fehler – aber der Chef erfährt nichts mehr davon. Aus Angst vor Rüffeln und Bestrafungen gibt keiner es zu, wenn er einen Fehler gemacht hat.
Der innere Zensor
Immer härter zementiert sich bei den Mitarbeitern der „innere Zensor“. Ideen werden gar nicht mehr zu Ende gedacht. Vorschläge unterschlägt man. Risiken werden vermieden. Die Mitarbeiter handeln praktisch nur noch nach dem Motto: Wer viel arbeitet, macht viele Fehler. Wer wenig arbeitet, macht wenig Fehler. Wer nicht arbeitet, macht gar keine Fehler. Der „innere Zensor“ mutiert so zur inneren Kündigung.
Und der Chef bekommt eine Traumwelt serviert, in der scheinbar keine Fehler passieren. Er lebt und arbeitet in einer Blase – getrennt von seinen Mitarbeitern. Erst wenn er womöglich selber mit dem Kunden spricht, der sich beschwert hat, platzt die Blase. Die Welt des Chefs fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Und im Unternehmen gibt es einen Riesenstunk.
Damit ist eine noch größere Gefahr verbunden: Irgendwann ist der Chef nicht nur isoliert in seiner Sicht auf die Dinge, sondern auch fast nur noch umgeben von Leuten, die ihm nicht so recht trauen. Wer spielt schon gern den ungeliebten Boten, der eine schlechte Nachricht zu überbringen hat – wenn die Gefahr besteht, geköpft zu werden?
3 mögliche Arten von Fehlern nach Aristoteles
Die Situation ist also völlig verfahren. Um sie aufzulösen, hilft ein kurzer Ausflug in die Antike. Schon Aristoteles sah einen Unterschied zwischen drei möglichen Arten von dem, was wir hier und heute „Fehler“ nennen.
- „Unglück“: meint einen unvorhersehbaren schädlichen Zwischenfall. Wenn Sie beispielsweise in ein bestimmtes Produkt investiert haben und ein Vierteljahr später der Markt einbricht. Aber auch Dinge, die durch höhere Gewalt passieren: Wenn etwa ein Erdbeben Ihre Produktion komplett zerstört.
- „Fehler“: bezeichnet eine vorhersehbare Wendung der Ereignisse. Allerdings ist sie nicht durch böse Absicht entstanden, sondern durch fehlendes Wissen, mangelnde Kompetenz oder schlichte Charakterschwäche. Wenn sich z. B. ein junger, unerfahrener Produktionsleiter für eine Fertigungsart entscheidet, die ein „alter Hase“ von vornherein als unbrauchbar verworfen hätte.
- „Schlechtes Tun“: meint das Resultat einer Handlung aus böser Absicht heraus. Einen bewussten Verstoß gegen die Regeln oder das Verletzen von zuvor bekannten Grenzen. Wenn in Ihrem Unternehmen beispielsweise jemand Intrigen spinnt oder Geld- oder Sachwerte unterschlägt, um sich selber zu bereichern.
Die erste Art von Fehlern – das Unglück – können Sie nicht vermeiden. Der Umgang mit der dritten Art, dem schlechten Handeln, steht außer Frage: Kündigung und, falls nicht nur gegen Firmenregeln, sondern gegen Gesetze verstoßen wurde, eine Anzeige. Um diese beiden Fälle geht es in diesem Kapitel nicht.
Fehler der zweiten Art
Hier geht es um den zweiten Fall: Den versehentlichen Fehler. Innerhalb dieser Kategorie gibt es nochmals Unterschiede: Nicht alles, was nach einem Fehler aussieht, ist auch tatsächlich einer.
Stellen Sie sich einen Mitarbeiter vor, der am Fließband steht und Zutaten für Hamburger aufeinanderschichtet: Unterhälfte, Senf, Fleisch, Ketchup, Salatblatt, Oberhälfte. Das Ganze in eine Kunststoffbox und fertig.
Die Fehler, die hier passieren, sind vorhersehbar. Der Mitarbeiter vergisst das Salatblatt. Er verwechselt Ober- und Unterhälfte. Er zerreißt in der Eile das Styropor einer Box. Fehler ergeben sich hier aus klar nachweisbaren Abweichungen von einem Prozess, der im Vorfeld definiert ist. Bei dem kein Spielraum für Experimente bleibt. Bei dem es nicht darum geht, Flexibilität zu beweisen oder gar zu improvisieren. Der Weg ist klar: Solche Abweichungen sind echte Fehler, die soweit es geht vermieden werden müssen.
Experimente können schief gehen…
In der Entwicklungsabteilung eines größeren Unternehmens sieht das schon anders aus. Hier gibt es ein Ziel. Und viele verschiedene Wege dorthin – von denen der noch nicht beschrittene womöglich der Bessere ist. Wenn eine Idee entwickelt wird, ist der Weg zum Ziel nicht vorhersehbar. Wenn eine neue Methode ausprobiert wird, ist noch nicht sicher einschätzbar, ob sie erfolgreich sein wird oder nicht.
Ja, es kann sein, dass das Experiment schiefgeht. Oder dass es zwar einigermaßen funktioniert, aber weniger gut als die alte Methode. Das stellt sich erst im Nachhinein heraus.
Fehler oder Versuch?
Als Chef mögen Sie kleine Rückschläge und große Abweichungen vom Weg für Fehler halten. In Wahrheit sind es aber gar keine, da sie nicht vorherzusehen sind. Es sind Versuche. Solche Versuche müssen Sie zulassen – sonst werden Ihre Mitarbeiter zu unkreativen Anweisungsbefolgern.
In diesem Missverständnis verbirgt sich also der Schlüssel zum Gesamtproblem: Experimente zulassen, Fehler vermeiden. Das gelingt Ihnen mit drei Schritten.
- Von Ihren Mitarbeitern erwarten Sie, dass sie den besten Weg wählen. Damit der Weg nicht in eine Sackgasse führt oder Ihre Leute irgendwann in eine steinigere Parallelstraße abbiegen, kundschaften Sie mögliche Routen mit einem Testballon aus, bevor das ganze Unternehmen dort entlangmarschiert.
- Unterstützen Sie Ihre Leute dabei, vorrangig nicht Sie zufriedenzustellen, sondern den Kunden.
- Etablieren Sie langfristig eine Fehlerkultur in Ihrem Unternehmen, die die Zusammenarbeit angenehmer und fruchtbarer macht.
Das inspirierende Zitat
„Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“
Dietrich Bonhoeffer
Weiterführende Links und Artikel
- Mein Buch: „Ist die Katze aus dem Haus –
So arbeiten Ihre Mitarbeiter eigenverantwortlich und selbstständig“ - Wie trifft man richtige Entscheidungen?
- Fehlertoleranz in Unternehmen
- Wie können Sie mit Angst im Unternehmen umgehen?
- Einhaltung von Feedbackregeln
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